SZ-Magazin: In welchen Zeiträumen denken Sie beim Konservieren von Design?
Angelika Nollert: Ein Museum will immer Zeithistorie vermitteln. Wir sagen nicht: Wenn das Alte zerstört ist, ersetzen wir es eben durch Neues. Alles, was wir aufnehmen, soll möglichst lange halten, am besten Jahrhunderte. Wir denken also für die Ewigkeit. Aber das können wir natürlich nicht garantieren. Alles vergeht irgendwann. In unserer eher kurzen, neunzigjährigen Geschichte sind bisher zum Glück eigentlich nur Dinge aus Kunststoff unbrauchbar geworden. Ansonsten haben wir es vorwiegend mit normalen Alterungsprozessen wie Verfärbungen zu tun. Trotzdem: In 100 bis 200 Jahren wird vieles aus Kunststoff und Gummi, was wir heute haben, nicht mehr da sein.
Die Menschen werden im 22. Jahrhundert also keine Objekte des Plastikzeitalters in Ihrem Museum bewundern können?
Doch, aber viele Originale sicherlich nicht mehr. Die müssen wir dann auf anderem Wege dokumentieren. Entsprechende Objekte können per 3-D-Laserscan digital erfasst werden und im Bedarfsfall per 3-D-Druck zumindest in ihrer Form rekonstruiert werden.
Welchen Designobjekten in Ihrer Sammlung geht es besonders schlecht?
Es gibt verschiedene Kunststoffe, die verschieden altern. Je mehr Weichmacher enthalten sind, desto größer ist das Problem einer Zersetzung. Wir besitzen rollbare Computertastaturen, die höchstens 15 Jahre alt, aber komplett unbrauchbar geworden sind. Die Weichmacher lösen die Materialoberfläche auf, der Rest zerbröselt. Wir haben Rollschuhe aus den Siebzigerjahren wie von Esslinger Design, deren Stopper vorn schon stark versprödet sind. Man kennt das von Fahrradlenkergriffen aus Kunststoff, die irgendwann klebrig werden. Schaumstoff, an Kopfhörern zum Beispiel oder in Polstermöbeln, ist auch schwierig, denn der verliert seine Elastizität und zerfällt.
Kann man nichts dagegen tun?
Bislang können wir nur versuchen, diesen Prozess zu bremsen. Wir wollen die Sachen immer so erhalten, wie wir sie bekommen haben. Die Tastatur aber mussten wir aus der Sammlung entfernen.
Gibt es Kunststoffe, die länger halten?
Faserverstärkte Kunststoffe, wie man sie bei Freischwingern von Verner Panton oder Stühlen von Charles und Ray Eames findet, halten ziemlich gut. Bakelit ebenso, der erste vollsynthetische Kunststoff. Unseren alten Radios oder Telefonen aus Bakelit fehlt fast nichts. Wie sich die ganz neuen Kunststoffprodukte halten, wird sich erst in Zukunft erweisen.
Welche Exponate der Neuen Sammlung sind unverwüstlich?
Alles, was anorganisch ist: Gebrauchsgegenstände aus Glas, Stein, Marmor. Aber schon Beton in bestimmten Zusammensetzungen bröselt irgendwann. Kupfer und Silber laufen an. Eisen korrodiert. Grundsätzlich machen wir wöchentliche Kontrollgänge durch unsere Räume, ebenso durch die laufenden Ausstellungen, damit mögliche Schäden sofort erkannt werden.
So schnell rostet doch kein Auto.
Das nicht. Aber es gibt leider auch Besucher, die die Oberflächen anfassen oder – ganz arg, wenn auch selten – ihren Daumen in ausgestellte Modelle aus Industrieplastilin drücken. Es kann Öl auslaufen aus einem Automobil. Wir hatten auch schon Mäuse in einer Außenhalle.
Was sind die schlimmsten Feinde Ihrer Objekte?
Feuchtigkeit, Sauerstoff und Licht sind nicht gut. Licht lässt mit der Zeit Lack verfärben, Kunststoffe wie Tupperware ausbleichen, sogar Holz bleicht aus – und alte Computer wie die frühen Commodore lässt es vergilben. Deshalb ist es in unseren Ausstellungsräumen immer etwas abgedunkelt. Hautkontakt ist wegen der Säure im Handschweiß auch nicht gut, wir benutzen Handschuhe.
Nicht wenige Konsumprodukte, die heute Designklassiker sind, wurden schon so konzipiert, dass sie nicht lange halten.
Das ist egal, wenn es ein wegweisender Entwurf ist. Smartphones oder Computer zum Beispiel, zu denen es irgendwann keine Ladegeräte und Akkus mehr gibt oder keine Software, sind dennoch sammelwürdig. Wir haben auch einen Wasserkocher von Peter Behrens, den zeigen wir ohne Kabel.
Muss ein Exponat nicht funktionieren, wenn Sie es aufnehmen oder ausstellen?
Die meisten unserer Objekte sind funktionstüchtig. Als Designmuseum interessiert uns aber primär die gestaltete Form, daher ist ein Nichtfunktionieren kein Ausschlusskriterium. Unsere Restauratoren sind ja keine IT-Experten oder Mechaniker. Das unterscheidet uns von technischen Museen, wo die Funktionstüchtigkeit elementar ist. Wir stellen ja auch alle unsere Lampen mit Leuchtmittel aus, schalten diese aber nicht an, weil Licht die Lampenschirme beschädigt.
Fehlt dann nicht etwas sehr Elementares des Entwurfes?
Sie haben recht. Aber man muss mit diesem Verzicht leben. Sie können beim Auto ja auch nicht permanent das Motorgeräusch mit ausstellen oder beim Fernsehgerät das Fernsehprogramm. Als unsere iMacs ins Haus kamen, haben die alle funktioniert. Wenn sie das heute nicht mehr tun, können wir sie trotzdem als Designobjekt zeigen.
Sie besitzen viele Fahrzeuge und Maschinen in Ihrer Sammlung. Wie werden die gewartet?
Nehmen wir unseren Kabinenroller von Messerschmitt: Der wurde natürlich gründlich gereinigt, nachdem wir ihn erworben hatten. Aber wir nehmen ihn nicht komplett auseinander. Das würde unseren Museumsalltag sprengen. Öltropfen kann es also immer geben. Einmal wollte ich mit unserem stromlinienförmigen »Tatra 87« fahren, einem tschechischen Sportwagen, Baujahr 1937. Aber danach hätte der Restaurator tagelang zu tun gehabt mit Steinschlag, Reinigung et cetera. Also verbieten sich solche Eskapaden.
Ist Ungeziefer ein Problem?
Ja, klar, Motten, Holzwürmer. Wenn wir einen Bauhaus-Teppich bekommen, müssen wir den präventiv erst mal begasen gegen die Motten. Der könnte uns sonst unser ganzes Textillager ruinieren.
Wie repariert man Schäden an Designobjekten?
Gegen Weichmacher sind wir machtlos, manche chemische Reaktionen können wir aber aufhalten, durch sauerstoffarme oder abgedunkelte Lagerung. Flugrost kann man behandeln, Chrom kann man polieren. Lack hält erst mal auch ganz gut und kann mit Airbrush retuschiert werden. Problematisch sind Kratzer nur, wenn Lack ein prägender Teil des Entwurfes ist: Wir haben eine Dose von Ettore Sottsass, die mit Urushi-Lack beschichtet ist, einem feinen Speziallack aus Japan. Da kann ein Kratzer alles zerstören, das ist dann mehr als eine Gebrauchsspur.
Wäre Tiefgefrieren eine Option bei gewissen Objekten? Adidas friert angeblich alte Schuhklassiker ein, um sie für die Nachwelt zu erhalten.
Gefrierlagerung ist nur bei einigen wenigen Materialien sinnvoll. Da sind dann ausreichend lange Re-Akklimatisierungsphasen wichtig. Für so etwas haben wir aber noch nicht die entsprechenden Räume oder Schränke.
Wie gut muss ein Objekt erhalten sein, damit Sie es in Ihre Sammlung aufnehmen?
Wir nehmen keine Fragmente, wie etwa zwei Stuhlbeine von Thonet. Auch stark nachbearbeitete Objekte oder Repliken nehmen wir nicht auf. Ausnahme: Wenn man gar nicht mehr an das Original kommt und der Entwurf aus Forschungsinteresse wichtig ist. Aber Gebrauchsspuren sind absolut okay. Auch kleine Beschädigungen sind tolerabel. Unser Interesse gilt ja Objekten, die aus dem Gebrauch kommen. Restaurieren heißt nicht reparieren! Ein Privatsammler mag das anders sehen, der möchte vielleicht immer den Neuzustand anstreben, lässt also Möbel neu beziehen oder alte durch neue Bauteile ersetzen. Aber wir als Museum finden Patina gut. Wir würden sie nie entfernen wollen. Jedes historische Objekt hat Gebrauchsspuren, so zeigt es seine Anwendung und seine Authentizität.
Was ist das älteste Objekt in der Sammlung?
Zu den ältesten Objekten gehört eine 300 Jahre alte Schneebrille der Inuit aus Horn mit sehr schmalen Sehschlitzen. Die sieht ähnlich aus wie eine heutige Schlafbrille und schützte die Eskimos vor Schneeblindheit. Wenngleich wir ein Museum für modernes und zeitgenössisches Design sind, so war für die Museumsgründer die reduzierte Form dieser historischen Brille beispielhaft.
Wo und wie lagern Sie Ihre Schätze?
In unseren Depots hier im Haus, aber auch in Außenlagern, die alle das Höchstmaß konservatorischer Bedingungen haben. Sie sind nicht öffentlich und werden nach Objekt- und Materialgruppen bestückt. Unsere Fahrzeuge stehen in einer Halle, die passen sonst nirgendwo rein.
Es kommt einem so vor, als ob jedes Jahr mehr Designprodukte hergestellt würden. Werden Sie auf lange Sicht Platzprobleme bekommen?
Da kommen wir ins Philosophieren. Einerseits wird die Produktvielfalt immer größer, andererseits müssen wir Schwerpunkte setzen und auch nicht alles sammeln. Wir können auch Phänomene darstellen ohne Objekte. Es stimmt, wir werden weiter wachsen, weil wir ja nichts aussortieren, was wir einmal als wichtig erachtet haben. Mobiltelefone sind da nicht das Problem, da passen locker tausend in einen gro-ßen Schrank. Eher Autos, Küchen oder andere raumgreifende Objekte. Sobald wir an räumliche Grenzen kommen sollten, und das tun wir sicher in naher Zeit, müssen wir unser Selbstverständnis vom Sammeln neu definieren und uns als Museum vielleicht ganz neu erfinden. Aber noch ist es nicht so weit.
Wie wählen Sie Sammlungswürdiges aus, angesichts Tausender neuer Entwürfe von Hunderten führenden Designern jedes Jahr?
Wir sichten die führenden Messen, Festivals und Wettbewerbe und versuchen uns ein Bild zu machen vom gegenwärtigen Designgeschehen. Wir machen Besuche bei Designstudios und Unternehmen. Für die Auswahl gibt es harte und weiche Kriterien. Die Designidee muss gut sein, das Konzept, die Vision erkennbar sein. Das kann etwas Neues sein – oder etwas Vorhandenes verbessern, so wie der Dyson-Staubsauger eine ganz neue Technik umgesetzt hat, bei verbesserter Wirkung und natürlich guter Gestaltung. Grundsätzlich müssen Objekte für uns auch finanziell erreichbar sein.
Wer entscheidet, was gute Gestaltung ist?
Da sind wir bei den weichen Kriterien, obwohl es durchaus einen Konsens unter Experten gibt, was eine gute Gestaltung ist. Sie sollte nicht komplett abgetrennt von der Funktion sein. Obwohl es auch in dieser Hinsicht großartige Entwürfe gibt wie die Utopien von Colani. Einigen Memphis-Entwürfen ist ihre Gestalt wichtiger als ihre Bedienbarkeit, andere haben bewusst ihre Funktion kaschiert oder ironisiert. Natürlich interessieren uns immer auch neue Fragen, wie etwa derzeit die neue Carbontechnik.
Was macht Carbon so interessant?
Revolutionen im Design treten immer dann auf, wenn ein neues Material durch neue statische Möglichkeiten auch neue Formen der Gestalt möglich macht. Nehmen Sie Ron Arads hauchdünnen Schaukelsessel aus Carbon in Form einer Schleife. Der würde aus Kunststoff oder Holz zerbrechen, wenn Sie sich draufsetzen.
Was sind noch bestimmende Designtrends zurzeit?
Auf jeden Fall die Rückbesinnung aufs Handwerk, aufs Solide, Dauerhafte in Abgrenzung zur Wegwerfkultur. Aber auch eine neue Opulenz, die Luxus inszenieren will und im Kontrast steht zu den ganzen Krisenszenarien um uns herum. Es gibt viel Messing, Kupfer, hochwertige Materialien, Edelhölzer. Teppiche und Tapeten sind wieder aktuell und entsprechen dem Wunsch nach Dekoration. Ich sehe ganz klar eine neue Lust, es sich gemütlich zu machen.
Wie viele Objekte kommen pro Jahr zu Ihrer Sammlung hinzu?
Das schwankt. Wir müssen ja auch immer schauen, was wir uns leisten können. Der »Chair One«-Stapelstuhl von Konstantin Grcic für rund 300 Euro ist kein Problem. Für hochpreisige Unikate oder Kleinstserien wie eben jenen Carbonsessel »Oh Void« von Ron Arad, den wir kürzlich erworben haben, müssen wir dagegen auf Drittmittel zurückgreifen, zum Beispiel von Stiftungen oder Fördervereinen. Von manchen wohlwollenden Designern und Unternehmen bekommen wir Sachen zum Produktionspreis. Und natürlich leben wir auch von Schenkungen.
Die Neue Sammlung wurde 1925 gegründet, im Geist der Moderne. Wie bleibt ein Museum zeitgemäß?
Dieser Geist gilt bis heute. Wir sind immer der zeitgenössischen Formgestaltung verpflichtet. Dieser Gründungsanspruch prägt bis heute die Programmatik des Hauses. Natürlich können wir niemals Vollständigkeit beanspruchen. So hat das Haus zum Beispiel nie Mode gesammelt. Das könnte ich jetzt anfangen, nie aber retrospektiv, das kann man gar nicht schaffen. Ich würde in Zukunft gern auch Gerüche oder Geräusche sammeln, die für viele Produkte so kennzeichnend sind. Zum Beispiel der Sound von Computerlaufwerken oder Düfte von Auto-Innenräumen.
Müssten Sie nicht Software sammeln? Apps? Webseiten-Designs?
Auf jeden Fall. Aber im Moment können wir das finanziell wie personell noch nicht stemmen. Da müssten wir IT-Spezialisten einstellen, denn wer Software sammelt, muss die dazu passende historische Hardware ebenfalls sammeln. Ein Videospiel aus den Neunzigern läuft eben nur auf einem Rechner oder einer Kon-sole aus den Neunzigern. Man kennt das ja von seinem drei Jahre alten Smartphone, auf dem bestimmte neue Apps schon nicht mehr laufen. Aber ich gebe zu: Das Haus hat hier aufgrund seiner Tradition eine Liebe zu physischen Objekten, die in ihrer Ausschließlichkeit bald nicht mehr zeitgemäß ist. Da fehlt uns was. Aber wir arbeiten daran.
Fotos: Marek Vogel