Die Gewissensfrage

»Bei meinem letzten Urlaub in Prag ging das Gerücht um, dass Touristen in vielen Lokalen mehr für ihr Essen bezahlen müssen als Einheimische. Lässt sich dieser erhöhte Touri-Preis ethisch rechtfertigen? Einerseits hat der westliche Reisende vielleicht tatsächlich mehr Geld als der ortsansässige Bewohner. Andererseits sollte ein Preis aus Gerechtigkeitsgründen aber in einem festen Verhältnis zur Ware stehen und sich nicht danach richten, wer die Ware gerade kauft. Normalerweise bezeichnet man das bekannte Phänomen, ausländische Gäste mehr bezahlen zu lassen, als Touristennepp – sollte es hier plötzlich fair sein?« MARIO H., HILDESHEIM

Jetzt werde ich mir wahrscheinlich eine Menge Feinde machen, aber ausschließlich negativ sehe ich Touristenpreise nicht. Sie haben, wie so manches, zwei Seiten. Da gibt es die Nepp-Seite, die natürlich verurteilt werden muss. Die Unerfahrenheit oder mangelnde Sprachkenntnis eines Menschen auszunützen, um ihn zu schröpfen, ist fast oder wirklich kriminell.Auf der anderen Seite muss man sich das Einkommen beziehungsweise die Kaufkraft ansehen, welche in Tschechien nur ein Drittel bis die Hälfte der Werte in Deutschland erreichen. Daraus ergibt sich ein Problem. In der Marktwirtschaft steht der Preis nämlich gerade nicht in einem festen Verhältnis zur Ware, sondern wird von Angebot und Nachfrage bestimmt. Das hat zur Folge, dass bei entsprechender Nachfrage zahlungskräftiger Touristen die Preise an beliebten Reisezielen, an denen das Angebot begrenzt ist, auf das Niveau steigen, das die Urlauber zu zahlen in der Lage und bereit sind; übrigens fahren sie dabei häufig immer noch günstiger als zu Hause. Sind die Preise also plötzlich zu hoch für die einheimische Bevölkerung, wird sie von ihren eigenen Ausflugsorten, Cafés und Restaurants ausgeschlossen. Die Menschen können sich ihr eigenes Land schlicht nicht mehr leisten.Viele Kurorte gewähren hierzulande Anwohnern Nachlass auf Eintrittspreise, etwa in Schwimmbäder; Fremdenverkehrsorte verkaufen in »Einheimischenmodellen« Ansässigen Bauland günstiger als Fremden. Immer dann wenn Kaufkraftunterschiede und die harten Gesetze des Marktes die Einheimischen zu verdrängen drohen, scheinen Unterscheidungen gerechtfertigt. Nicht aber, wenn es um reines Abzocken der auswärtigen Gäste geht.Haben Sie auch eine Gewissensfrage? Dann schreiben Sie an Dr. Dr. Rainer Erlinger, SZ-Magazin, Rindermarkt 5, 80331 München oder an gewissensfrage@sz-magazin.de.