Was für eine nette Überraschung: ein Weihnachtsgeschenk von meinen Lesern. Noch dazu in Form einer Frage. Das meine ich ganz unironisch: Seit Jahren predige ich landauf, landab runkelrübenweit für mehr Aufrichtigkeit und gegen falsche Höflichkeit. Ein Unterfangen, das naturgemäß mit griffigen Beispielen am besten gelingt – wie der von Ihnen geschilderten Zwickmühle.
Auch der Zusammenhang verwundert nicht weiter, denn das »Fest der Liebe« – mit welcher Berechtigung auch immer so genannt – ist sicher kein »Fest der Wahrheit«: Vorgetäuschte Freude über nutzlose Präsente, notfallmäßig zusammengekaufte, angeblich von Herzen kommende Standardgeschenke und nur mühsam übertünchte Spannungen unterm Baum gehören fast so sehr zum Fest wie die Plätzchenflut. In diese Reihe fügt sich nun leider auch Ihre gespielte Dankbarkeit; bei ihr, nicht der anschließenden Entsorgung, liegt der Hase im Pfefferkuchen. Ob Sie nun den Lebkuchen widerwillig zulasten Ihrer Gesundheit in sich hineinstopfen oder gleich in den Müll werfen, nimmt sich, moralisch gesehen, nicht viel; das ist nur Folge der missverstandenen Höflichkeit, die mir vor allem eines scheint: bequem. Warum sagen Sie Ihren backwütigen Verwandten nicht genau das, was Sie mir schreiben? Fast jeder kann die adventsbedingte Überzuckerung nachvollziehen und dürfte eine nett formulierte, dankende Ablehnung kaum übel nehmen. Unterm Strich wird man damit der hinter dem Naschwerk stehenden Zuneigung wesentlich besser gerecht als mit falscher Freude.
Übrigens stemmt sich die Evangelische Kirche gerade mit einer Aktion unter dem Motto: »Alles hat seine Zeit – Advent ist im Dezember« gegen die Infiltration des Spätsommers durch Tannenbaum und Zimtsterne. Vielleicht wäre das auch eine Lösung: Weihnachtsgebäck erst an Weihnachten.
Illustration: Jens Bonnke