Die Gewissensfrage

»Ein Kollege hörte die Stimme eines ihm nahe stehenden Menschen nach dessen Tod. Die verstorbene Person gab ihm den Auftrag, wichtige Informationen an die im Diesseits Lebenden zu übermitteln. Der Kollege schrieb alle Anweisungen der Geisterstimme auf und veröffentlichte mit diesem Material unter eigenem Namen ein Buch, in dem er die von der Stimme erhaltenen Informationen genau kennzeichnete. Können die Nachfahren des Verstorbenen nun Tantiemenansprüche gegenüber dem Verfasser des Buches anmelden?« STEPHAN W., HAMBURG

Ihre Frage lässt den Begriff »Ghostwriter« in einem völlig neuen Licht erscheinen. Für gewöhnlich bleibt der Schreiber dabei ja geisterhaft unsichtbar, hier aber diktiert ein leibhaftiger Geist, was die Sache nicht eben einfacher macht.

Urteile zum Thema gemeinsame Urheberschaft gibt es viele, darunter auch solche mit vielversprechenden Namen wie »Kronprinzessin Cäcilie« oder »Rosa Elefant«. Die deuten immerhin auf höhere Kreise und Sphären oder aber geistige Getränke hin. Echte Geister hingegen scheinen für die deutsche Justiz schwerer zu fassen als andernorts. Der Oberste Gerichtshof in Wien ließ vor einigen Jahren ausdrücklich offen, wem ein »angeblich von jenseitigen Geisteswesen eingegebenes Werk als Urheber zuzurechnen ist«; das Schweizerische Bundesgericht dagegen konstatierte mit landestypischer Sorgfalt: »Jenseitige Wesen aber sind keine Subjekte schweizerischen Rechts (Art. 11 ZGB) und können daher nicht gedankliche Vorstellungen rechtswirksam zum Ausdruck bringen.«

Der Klassiker auf diesem Gebiet stammt aus Großbritannien, wo Richter J. Eve 1927 feststellte, dass seine Gerichtsbarkeit sich nicht auf die Sphäre erstrecke, in welcher der Geist des vor 2000 Jahren verstorbenen Kleophas lebt, jedoch »ruhen Autorenschaft und Copyright bei jemandem, der bereits auf der anderen Seite des unumgänglichen Flusses beheimatet ist«.

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Nun ruht die Moral nie, deshalb könnte man für eine Lösung auf die in der Literatur genannten Hauptinteressen des Urhebers abstellen: das wirtschaftliche und das ideelle. Wirtschaftliche Sorgen hat der Verstorbene hoffentlich nicht mehr, ideell hatte er die Veröffentlichung offensichtlich genau so im Sinn, und falls er seinen Erben etwas vom Erlös zukommen lassen will, kann er es in diesem sehr speziellen Fall dem Autor ganz einfach selbst sagen.

Illustration: Jens Bonnke