Bei den Medien stehen sich zwei Interessen gegenüber: Das Informationsinteresse der Allgemeinheit und das der dargestellten Menschen an ihrer Privatsphäre. Das Recht auf Information und spiegelbildlich auf freie Berichterstattung stellen ein hohes Gut innerhalb einer Gesellschaft dar, sind unabdingbare Voraussetzungen für eine funktionierende Demokratie.
Sie müssen jedoch ihre Schranken finden im Recht auf Privatsphäre, mehr noch bei der Verletzung der Würde des Einzelnen. So kann die Darstellung von Opfern oder unmittelbaren Zeugen wichtige zusätzliche Informationen beinhalten und damit bis zu einem gewissen Grad gerechtfertigt sein – oder aber unvertretbar, wenn schlicht Sensationsgier bedient wird mit dem Ziel der Quotensteigerung; hier dient der Unglückliche als bloßes Mittel. Und das scheint mir leider – quer durch alle Medien – zu überwiegen. Dass die Mitschüler der Getöteten schockiert sind, glaubt man auch ohne sie um 20 Uhr weinend vorgeführt zu bekommen. Sie zu zeigen erachte ich auch schon deshalb für unzulässig, weil sie meiner Ansicht nach nicht wirksam zugestimmt haben; in einer derartigen psychischen Ausnahmesituation halte ich einen Menschen schlicht für nicht einwilligungsfähig.
Wer hat das nun zu verantworten? Sender oder Zuseher? Beide! In der Medienethik unterscheidet man zwischen journalistischer Ethik und Publikumsethik. Berichtende wie Zuseher tragen je für ihren Part die Verantwortung. Die Mediennutzer sogar in doppelter Hinsicht: als möglicherweise voyeuristische Beobachter dieses konkreten Programms mit den individuellen vorgeführten Menschen, und als Konsumenten, die durch Nachfrage das Angebot beeinflussen. Fehlende Quoten bewirken tausendmal mehr als alle Moralappelle. Deshalb wünsche ich mir bei vielen Sensationsberichten vom Publikum, egal ob Leser, Seher oder Surfer, einfach mehr Schiller: »Hier wendet sich der Gast mit Grausen«!
Haben Sie auch eine Gewissensfrage? Dann schreiben Sie an Dr. Dr. Rainer Erlinger, SZ-Magazin, Hultschiner Straße 8, 80677 München oder an gewissensfrage@sz-magazin.de.
Illustration: Marc Herold