Die Gewissensfrage

"Ich sitze im Café. Zwei Damen setzen sich zu mir an den Tisch. Kaum ist der Kaffee serviert, fängt die eine an zu telefonieren. Ich weiß jetzt alles über ihren Schatzi und seine Krankheiten. Als sie nach Beendigung des etwa 15-minütigen Gesprächs erneut wählt, spreche ich sie an und sage ihr, dass es mich stört, wenn sie am Tisch telefoniert. Die Entrüstung ist groß. War mein Verhalten unsozial?" Hanna S., Bochum

Mobiltelefonate in der Öffentlichkeit sind ein Klassiker – auch bei den Zuschriften hier. Im Restaurant, im Café, im Zug oder auf der Parkbank, überall stellt sich die gleiche Frage: Wer stört, wer ist im Recht? Der Telefonierer oder derjenige, der sich über ihn aufregt? Als Mobiltelefone neu waren, lag darin noch eine Art Kulturkampf. Es galt, das Abendland gegen seinen Untergang zu verteidigen, der diesmal in Form von ungewohnt kommunizierenden Menschen drohte. Seitdem es in Deutschland mehr Mobilfunkanschlüsse als Einwohner gibt, dürfte das weitgehend überwunden sein, das Problem mit den störenden Telefonaten aber offenbar nicht.

Dabei scheint es auf den ersten Blick ziemlich einfach: Da auch ein Ferngespräch ein Gespräch ist, sollte man es an den jeweiligen Orten jeweils in der Art führen können, in der man dort auch andere Gespräche führt, also in der Bibliothek und im Ruheraum der Sauna gar nicht, im Zug oder in einem Café in gedämpfter Form und am Oktoberfest so laut, wie man will. Es geht schlicht darum, andere nicht mehr zu stören als notwendig. Wer sich in einem ruhigen Restaurant anbrüllt oder im Zug laut telefoniert – und umgekehrt –, der stört. Ich weiß nicht, was mich auf meinen Bahnfahrten mehr Nerven, Schlaf und Arbeitskraft gekostet hat: laute Telefonierer oder Menschengruppen, die nicht nur sich, sondern ganze Großraumwagen unterhalten. Mit einer Einschränkung: Psychologische Untersuchungen haben ergeben, dass man sich von Gesprächen, bei denen man nur die eine Hälfte hört, eher belästigt fühlt als von gleich lauten anderen Unterhaltungen – man hört offenbar automatisch intensiver zu. Das bedeutet in der Praxis, dass man bei Telefonaten zurückhaltender sein muss als bei direkten Gesprächen: leiser sprechen oder rausgehen. Aber nicht weil man ein Telefon benutzt, sondern weil dieses Sprechen stärker stört.

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Literatur: Andrew Monk, Jenni Carroll, Sarah Parker and Mark Blythe, Why are mobile phones annoying? Behaviour & Information Technology, Vol 23 (2004), 33-41

Meistgelesen diese Woche:

Andrew Monk, Evi Fellas and Eleanor Ley, Hearing only one side of normal and mobile phone conversations. Behaviour & Information Technology, Vol 23 (2004), 301-305

Illustration: Marc Herold