Die Gewissensfrage

"Mein Sohn wurde mit meinem Auto geblitzt, er war zu schnell. Als Führerscheinneuling müsste er mit drei Punkten in Flensburg und einer Nachschulung rechnen, die ihn 600 Euro kosten würde. Er bittet mich nun, mich als Fahrer auszugeben. Damit würde ich nicht nur ihn, sondern auch das Familienvermögen schonen, weil ich nur 100 Euro zahlen müsste. Soll ich Elternliebe oder Strenge zeigen?" Frank J. Berlin

Lassen wir einmal das Rechtliche beiseite, also auch die Frage, welche Folgen es für Sie haben könnte, wenn herauskäme, dass Sie gegenüber einer Behörde falsche Angaben machen und durch Täuschung verhindern, dass Ihr Sohn belangt wird.

Jenseits davon stehen sich aus moralischer Sicht zwei Prinzipien gegenüber: Familie und Strafe. Strafe jedoch nur im weitesten Sinn, weil die Nachschulung vor allem belehren und nicht bestrafen soll. Und selbst wenn man die Kosten als höhere Strafe für Fahranfänger ansähe, stünde auch hier der Zweck der Prävention im Vordergrund: also den Delinquenten von weiteren Verstößen ab- und zu regelgerechtem Fahren anzuhalten.

Andererseits muss man die Realität sehen, und da wirkt es trotz allem komisch, wenn Sie Ihren Sohn und das Familienvermögen nur aus Prinzip belasten. Sie sprechen von Elternliebe, und tatsächlich hat meines Erachtens der Zusammenhalt innerhalb einer Familie – trotz aller fragwürdigen Aspekte dieses Gruppenegoismus – einen eigenen Wert. Ebenso wie das Gefühl Ihres Sohnes, bei Schwierigkeiten nicht allein gelassen zu werden.

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Nur ist Ihr Sohn nicht völlig zufällig in den Mechanismus dieser Regelung geraten. Es gibt sie ja gerade, weil Fahranfänger häufig ihr Können überschätzen und deshalb vermehrt in Unfälle mit schweren Folgen verwickelt sind. Und Ihr Sohn hat sich – zum Glück nur bei der Geschwindigkeit – ziemlich durchschnittlich verhalten, also die statistischen Befürchtungen des Gesetzgebers erfüllt.

Deshalb käme meines Erachtens eine Mitwirkung an dieser Geld sparenden Punkterochade nur infrage, wenn Sie sich sicher sind, selbst bei Ihrem Sohn die Ziele dieser Nachschulung erreichen zu können: »eine risikobewusstere Einstellung im Straßenverkehr zu entwickeln und sich dort sicher und rücksichtsvoll zu verhalten«, wie es im Gesetz dazu heißt. Ohne Ihren Qualitäten als Vater zu nahe treten zu wollen: Das ist keine leichte Aufgabe. Erst recht nicht, wenn man kurz zuvor dabei geholfen hat zu beweisen, dass es immer noch ein Hintertürchen gibt.

Illustration: Marc Herold