»Ich bin überzeugter Gegner der Atomkraft und der jetzt anstehenden Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke. Ich möchte etwas dagegen tun, schwanke aber zwischen zwei Vorgehensweisen, die sich wegen meiner begrenzten Mittel gegenseitig ausschließen. Soll ich 100 Euro an eine Organisation spenden, die gegen Atomkraft arbeitet und Großdemonstrationen organisiert? Oder soll ich das Geld dafür ausgeben, selbst zu einer solchen Demonstration zu fahren?« Matthias P., Augsburg
Am 21. Januar 2010 wurde das politische Amerika von einem Urteil des Obersten Gerichtshofs erschüttert: Mit der Mehrheit der fünf konservativen Richter entschied das Gericht, dass Firmen in Zukunft mit eigenen Werbekampagnen in Wahlkämpfe direkt eingreifen dürfen. Von vielen Kommentatoren wurde die Entscheidung mit schweren Bedenken und Befremden aufgenommen, weil man die politische Kultur in den USA durch den nun
zu erwartenden verstärkten Einfluss von Lobby-Geld und wirtschaftlicher Macht gefährdet sah; hierzulande wähnte man sich im Vergleich dazu glücklich.
Am 21. August 2010 veröffentlichten vierzig Unterzeichner unter Beteiligung des BDI, des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, darunter die Leiter der größten deutschen Bank, der vier großen Energieversorger und weiterer großer Industrie- und Handelskonzerne in einer Kampagne von ganzseitigen Anzeigen einen »Energiepolitischen Appell«, um Einfluss auf die Energie- und Atompolitik der Bundesregierung zu nehmen. Wie weit das gelingt, werden die nächsten Monate zeigen.
Ich schreibe dies, um die Bedeutung Ihres Engagements für die Demokratie deutlich zu machen. Ob Sie nun für oder gegen Atomkraft sind, ist für diesen Aspekt zweitrangig. Wichtig ist, dass Sie Ihre Überzeugung als Bürger wirksam vertreten. Der Wahlkampf von Barack Obama hat gezeigt, dass eine Vielzahl von Klein- und Kleinstspenden von Bürgern unterm Strich mehr einbringen kann als Großspenden. Womit Sie in diesem speziellen Fall faktisch mehr erreichen, kann ich Ihnen allerdings nicht beantworten, das weiß allenfalls der Organisator der Demonstration.
Abstrakt betrachtet steht einer möglichen höheren Effizienz der Spende der Wert Ihres persönlichen Auftretens als Ausdruck Ihrer Freiheit und Überzeugung gegenüber. Aber beides sind Formen demokratischer Betätigung. Lobbyismus wie auch Demonstrationen haben demokratische Bedeutung, aber kein geregeltes Verfahren. Deshalb ist es wichtig, dass engagierte Bürger den organisierten Strukturen der Einflussnahme etwas entgegensetzen, um ein Gleichgewicht zu wahren. In dieser Hinsicht sind Ihre beiden Alternativen gleichermaßen zu begrüßen.
Illustration: Marc Herold