»Bei vielen Zeitungen und Rundfunkanstalten ist es üblich, Nachrufe auf gewisse Prominente schon zu deren Lebzeiten vorzubereiten. Ist dieses Vorgehen – und auch das Drucken bzw. Senden – nicht unmoralisch, da das Leben Prominenter als Mittel zum Zweck (Profit) benutzt wird? Ich habe jedenfalls einem Journalistenfreund diesbezüglich ins Gewissen geredet und bin mir jetzt nicht sicher, ob ich damit zu weit gegangen bin.« Johanna R., Nürnberg
Der vorproduzierte Nachruf steht zwischen dem Porträt eines Lebenden einerseits und dem nach dem Tod erstellten Nachruf andererseits. Zeitlicher Wendepunkt ist der Tod. Im Diesseits, das wir hier betrachten, wird der Mensch in diesem Moment notwendigerweise zum Objekt, weil ihm ab dann die Möglichkeit fehlt, als Subjekt selbst zu handeln. Er wird dabei jedoch nicht automatisch zum Mittel für etwas anderes oder andere, sondern kann durchaus Zweck der Handlung bleiben. So bei ihm zugewandten Maßnahmen, zum Beispiel wenn man ihm ein würdiges Begräbnis gestaltet oder – und darum geht es hier – sich seiner erinnert.
Im Prinzip hat jeder Nachruf das Problem, das Sie aufwerfen: Zunächst behandelt der Text den Verstorbenen als Objekt. Ob der dabei zum bloßen Mittel wird oder zugleich Zweck bleibt, hängt davon ab, welches Ziel der Nachruf verfolgt: Dient er ausschließlich den noch Lebenden zu deren Information, womöglich sogar Unterhaltung – und den Medien zur Gewinnerzielung? Oder zumindest zugleich dem Verstorbenen, weil er die Erinnerung an ihn fördert?
Und damit komme ich zu Ihrer Frage. Mir will scheinen, die Kluft zwischen diesen beiden Polen wird größer, wenn man den Nachruf schon zu Lebzeiten vorproduziert. Indem man über den Lebenden berichtet, als wäre er schon tot, behandelt man ihn stärker als Objekt, als man es – etwa bei einem Porträt – üblicherweise mit Lebenden tut: in einem Ausmaß, in dem man sonst nur mit Toten umgeht, die ja kein Subjekt mehr sein können. Welche Auswirkungen hat das? Ich glaube, man muss, um dies auszugleichen, stärker darauf achten, ob das, was man mit derjenigen Person macht, auch im Interesse des Betroffenen liegt. Geht es vor allem um Schlagzeilen und Quote und nicht um Information und Erinnerung, steht also nicht die Person im Vordergrund, sondern die Interessen der Autoren, Zeitungen und Sender, benutzt man denjenigen wirklich als Mittel zum eigenen Zweck.
Ansonsten aber gilt: Die Erinnerung ist der Lebensraum der Toten. In diesem Sinne kann es – falls derjenige sich überhaupt von Angelegenheiten nach seinem Tode noch betroffen fühlt – nur im Interesse des dann Verstorbenen liegen, dass sein Nachruf sorgfältig zustande kommt. Und das ist sicherlich eher der Fall, wenn mehr Zeit dafür zur Verfügung steht.
Rainer Erlinger empfiehlt zu diesem Thema:
Stefan Brunn: Abschieds-Journalismus: Die Nachrufkultur der Massenmedien. Lit Verlag Münster 1999.
Illustration: Marc Herold