Die Gewissensfrage

Darf ich einen antiken Armreif aus Elfenbein kaufen – der Elefant ist doch schließlich schon tot?

»Kürzlich entdeckte ich auf einem Brüsseler Antiquitätenmarkt einen Armreif, der mir sehr gut gefiel – aus Elfenbein, vermutlich aus Zeiten der belgischen Kolonialherrschaft. Sofort war mir klar: Das geht nicht. Der arme Elefant. Und dazu waren die Belgier mit die grausamsten Kolonialherren! Aber der Armreif will mir nicht aus dem Kopf, immer wenn ich mit der Tram am Antiquitätenmarkt vorbeifahre, überlege ich, ihn zu kaufen. Der Elefant ist doch lange tot!« Marc B., Brüssel

Bekanntermaßen trägt man beim Konsum Verantwortung: Man erzeugt eine »Nachfrage«, und dieses Wort beinhaltet schon, dass man damit einen Mechanismus in Gang setzt, der nicht nur die Herstellung des Produkts ankurbelt, sondern über diesen Weg auch die Gewinnung seiner Rohstoffe. Der Verbraucher hat also einen zwar indirekten, aber doch vorhandenen Einfluss auf die Produktion und damit eben auch die Verantwortung dafür.

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Für gewöhnlich ist das auch so, nicht aber hier: Antiquitäten sind dank der Zeitspanne, die per definitionem seit ihrer Entstehung vergangen ist, von der Produktion so weit abgekoppelt, dass man keine Rückwirkung fürchten muss und damit auch keine Verantwortung für ihre Herstellung trägt. Ob Sie den Armreif kaufen oder nicht, ändert weder etwas an der Gefahr für die Elefanten, wegen ihres Elfenbeins gejagt zu werden, noch an den Gräueln der Kolonialherrschaft. So gesehen könnten Sie ruhigen Gewissens zugreifen.

Allerdings führt die große Entfernung des Gegenstands von seiner ursprünglichen Produktion dazu, dass etwas anderes stärker hervortritt: das »aktive Konsumieren«, das der französische Soziologe und Kulturphilosoph Michel de Certeau beschrieben hat. De Certeau war der Meinung, dass der Konsument durch die Auswahl der Produkte sich diese aneignet und für sein Leben mit neuen Bedeutungen versieht. Damit verändert er einerseits die Produkte, produziert also etwas teilweise Neues, verändert damit durch diese Produkte aber auch sein Leben, gestaltet seine Identität und Lebenswelt.

Was bedeutet das nun praktisch? Sie können als aktiver Konsument den Armreif durch die Aneignung gewissermaßen verändern, indem Sie ihm im Bewusstsein seiner Geschichte eine andere Bedeutung geben. Daneben fügen Sie den belasteten Gegenstand aber auch in Ihr Leben ein und verändern es damit – wie stark und in welcher Weise auch immer. Meiner Meinung nach trägt man aber auch für das aktive Konsumieren im Sinne de Certeaus Verantwortung: Bildlich gesprochen klebt das Blut der Kolonialherrschaft und des Elefanten an dem Armreif, und ich bezweifle, dass Sie das durch Aneignung in Ihr Leben einerseits abwaschen können und andererseits sollten.

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Zu diesem Thema empfiehlt Rainer Erlinger:

Michel de Certeau, Kunst des Handelns, Merve Verlag Berlin 1988

Veronika Krönert, Michel de Certeau: Alltagsleben, Aneignung und Widerstand, in: Andreas Hepp, Friedrich Krotz, Tanja Thomas (Hrsg.) Schlüsselwerke der Cultural Studies (Medien - Kultur - Kommunikation), VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2009

Illustration: Marc Herold