»Mein Großvater, zu dem ich ein sehr enges und vertrautes Verhältnis hatte, ist vor Kurzem verstorben. Am Abend der Beerdigung findet an meiner Uni eine Party statt, auf die ich mich seit Langem gefreut habe und zu der auch meine ganzen Kommilitonen gehen. Ist es in Ordnung, auf das Fest zu gehen, oder sollte ich den Tag ruhig, in Gedenken und Trauer ausklingen lassen? Einerseits hätte mein Opa sicherlich gewollt, dass ich zu jeder möglichen Zeit glücklich bin, andererseits habe ich Angst, dass es respektlos wäre, mich durch den Spaß auf der Party vom Trennungsschmerz abzulenken.« Helmut F., Passau
In der Tat wirkt es zunächst befremdlich, wenn Sie am Tag der Beerdigung Ihres Großvaters auf eine Party gehen. Jedoch muss man sich fragen, ob das nicht lediglich auf verletzten Konventionen beruht. Aus moralischer Sicht scheinen mir hier drei Aspekte wichtig: der Respekt vor Ihrem Großvater, Rücksicht auf Lebende und Ihre eigene Trauer. Ansonsten gilt auch bei einem Trauerfall der Grundsatz: Das Leben geht weiter. Das mag hart klingen, drückt aber ein unvermeidliches und auch positives Prinzip aus – das sich auch im oft fröhlichen Leichenschmaus zeigt.
Problematisch, weil respektlos wäre es, wenn Sie, bildlich gesprochen, auf dem Grab tanzen, sich also über den Tod Ihres Großvaters freuen würden. So wie Sie schreiben, trifft das jedoch nicht zu, Sie gedenken seiner in Trauer. Schwierig wäre es auch, wenn Sie andere Hinterbliebene, insbesondere Ihre Eltern, verletzen. Ihr Vater oder Ihre Mutter hat den Verlust des Vaters zu beklagen, in derartigen Situationen kann gegenseitige Unterstützung oder auch ein Zeichen wichtig sein, und das würde einen Verzicht auf Ihr Vergnügen begründen.
Wenn das nicht der Fall ist, bleibt Ihre eigene Trauer. Im Englischen unterscheidet man »grief« und »mourning«. »Grief« steht für die persönliche Trauer, das Gefühl im Sinne von Kummer oder Gram, »mourning« für die öffentliche soziale Trauer oder auch die Zeit der Trauer. Bei Ihnen nun scheint eine Spannung zwischen Ihrer privaten Trauer »grief« und der öffentlichen sozialen Trauer »mourning« zu bestehen. Ich halte die Trauer um einen geliebten und vertrauten Menschen für etwas so Persönliches, dass jeder Mensch seine eigene Form dafür finden muss. Auch wenn es dafür soziale oder religiöse Konventionen gibt, sehe ich aus moralischer Sicht keine Vorgaben.
Man sollte aber überlegen, ob der Wunsch, sich abzulenken, nicht dazu dient, den Trauerfall zu verdrängen – eine typische Reaktion bei der Verarbeitung eines Verlusts. Oft beginnt diese mit einer Phase der Vermeidung, bevor man sich mit der Tatsache konfrontiert und das Leben dann langsam anpasst. Sigmund Freud sprach von der Arbeit, die Trauer leisten muss. Das wird Ihnen bei einem geliebten Menschen nicht erspart bleiben und ist auch wichtig. Wie Sie das machen wollen, ob allein zu Hause oder unter Freunden, müssen Sie für sich angesichts der Erinnerung an Ihren Großvater klären.
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Quellen:
Therese A. Rando, Trauern: Die Anpassung an den Verlust, in: Joachim Wittkowski (Hrsg.): Sterben, Tod und Trauer, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2003, S. 173-192
Sigmund Freud, Trauer und Melancholie, zuerst erschienen in: Internationale Zeitschrift für Ärztliche Psychoanalyse, Bd. 4 (6), 1917, S. 288-301. Hier online abrufbar.
Sigmund Freud, Totem und Tabu, Kapitel 2: Das Tabu und die Ambivalenz der Gefühlsregungen, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1991
John S. Stephenson, Death, Grief and Mourning, Free Press, New York 2007
Neil Small, Jeanne Katz, Jennifer Lorna Hockey (Hrsg.), Grief, Mourning and Death Ritual, Open University Press, Buckingham/Philadelphia 2001
Joachim Wittkowski, Trauer, in: Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, Andreas Frewer (Hrsg.), Sterben und Tod. Ein interdisziplinäres Handbuch, J.B. Metzler Verlag, Stuttgart 2010, S. 192-202
Klaus Feldmann, Tod und Gesellschaft, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2. Auflage 2010, besonders 241 ff.: Trauer, Erinnerung und soziale Restrukturierung
Illustration: Marc Herold