Tornados über Texas

Ist es ethisch vertretbar, den Amerikanern verheerende Stürme zu wünschen, damit sie endlich Konsequenzen aus ihrem klimaschädlichen Verhalten ziehen?

»Die USA gehören zu den größten CO2-Emittenten, aber auch zu den größten Leugnern des Klimawandels – allen voran ihr Präsident. Ist es trotz der zu erwartenden Schäden auch an Menschen ethisch vertretbar, den immer heftigeren Hurrikans einen verheerenden Weg tief in die USA zu wünschen, damit die Politiker und Bürger zur Vernunft kommen und endlich Verantwortung übernehmen?« Gerd D., München

Ihren Wunsch kann man unterschiedlich deuten. Als hämische Freude über einen möglichst großen Schaden in den USA, weil sich die Menschen dort Ihrer Meinung nach falsch, unmoralisch und egoistisch verhalten. Als Genugtuung über eine gerechte Strafe für dieses Fehlverhalten im Sinne einer adäquaten Vergeltung. Als Zufriedenheit über ausgleichende Gerechtigkeit, darüber, dass die Schäden der Erderwärmung einen ihrer Hauptverursacher treffen und nicht vorrangig arme Inselgruppen, die kaum dazu beigetragen haben. Und als Überlegung, dass diese Schäden, mögen sie bedauerlich sein, zu einer Verhaltensänderung führen, die künftige, noch größere Schäden weltweit verhindert. Ich halte den Wunsch unter allen vier Betrachtungsweisen für falsch. Bei der hämischen Freude ist es am einfachsten, die sehe ich immer als verwerflich an. Auch Strafe rein um der Vergeltung willen halte ich nicht für sinnvoll, sie ist mir zu sehr in die Vergangenheit gerichtet. Die ausgleichende Gerechtigkeit hat das Problem, dass ein Schaden in den USA den Karibikinseln nicht hilft und es dann wieder in Richtung Vergeltung geht. Zudem träfe die Betrachtung allenfalls für die Gesamtheit der USA zu, nicht aber für die vielen Einzelschicksale, bei denen noch dazu ärmere Bevölkerungsschichten häufig stärker betroffen sind.

Bleibt schließlich die Idee der Verhinderung von künftigen größeren Schäden. Obwohl der Wunsch in diese Richtung zunächst sinnvoll klingt, halte ich ihn nicht für gut. Mag es auch einem begrüßenswerten Ziel dienen, wären es dennoch Einzelne mit ihren individuellen Schicksalen, die man dem – im Wunsch – opfert. Und in dem Moment zeigt sich deutlich, dass man dabei die einzelnen Menschen nicht mehr als individuell Betroffene sieht, sondern nur noch als Mittel. Und das ist auch gedankenethisch problematisch.

Literatur:

Zum Zweck der Strafe lesenswert: Claus Roxin, Strafrecht AT Band 1, 4. Auflage C.H.Beck, München 2005, § 3

Meistgelesen diese Woche:

Winfried Hassemer, Warum Strafe sein muss, Ullstein, Berlin 2009

Immanuel Kant, Metaphysik der Sitten, § 49 E Online abrufbar hier. (Wobei ich betonen möchte, dass ich Kant in seinen Ansichten zur Strafe keineswegs vollumfänglich folge, ja etliche seiner Ansichten vollkommen ablehne)

Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 99

Das bekannteste kritische Zitat zur Strafe als Vergeltung findet man bei Seneca:

Seneca, De ira, Liber primus, XIX, 7
»Nam, ut Plato ait, nemo prudens punit, quia peccatum est, sed ne peccetur; revocari enim praeterita non possunt, futura prohibentur.« Übersetzung: »Denn, wie schon Plato sagt, kein Kluger straft, weil gesündigt worden ist, sondern damit nicht gesündigt werde; denn Vergangenes kann man nicht mehr ungeschehen machen, Zukünftiges ist zu verhindern« Zu finden z.B. in einer zweisprachigen Ausgabe Lateinisch/Deutsch bei Reclam, Stuttgart 2007

Und auch wenn dieser Satz den Wunsch nach »Bestrafung« zur Verhinderung weiterer Schäden sinnvoll erscheinen lässt, trifft er hier bei dieser Gewissensfrage dennoch nicht zu, weil es hier nicht um einzelne Personen geht, die etwas falsch gemacht haben, in Senecas Worten »gesündigt«, sondern um ein Kollektiv. Da Strafe auf Schuld aufbaut, müsste diese jedoch bei den Betroffenen individuell vorliegen.

Die Problematik, einen Menschen als Mittel zu einem noch so hehren Zweck zu verwenden, hat Immanuel Kant als Kategorischen Imperativ in der sogenannten Selbstzweck Formel formuliert: »Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.«

Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Akademie Ausgabe Band IV, S. 429 Online zu lesen hier.

Empfohlen wird: Kant für Anfänger. Der kategorische Imperativ. Eine Lese-Einführung von Ralf Ludwig, dtv München 1999

Sowie das Kapitel »Die kantische Ethik« in der auch sonst empfehlenswerten Einführung in die Ethik von Herlinde Pauer Studer, facultas WUV/UTB, Wien 2. Auflage 2010

Zum besseren Verständnis der Textstellen und ihrer Zusammenhänge: Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysk der Sitten, Kommentar von Christoph Horn, Corinna Mieth und Nico Scarano, Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2007, S. 243ff. zu Kant AA IV, 428,7 »Zweck« und S. 246ff. zu Kant AA IV, 429,10

Dieter Schönecker, Allen W. Wood, Kants »Grundlegung zur Metaphysik der Sitten« Ein einführender Kommentar, Schöningh Verlag UTB, Paderborn 2002 S. 140ff.

Illustration: Serge Bloch