Anfang Dezember bekam ein 71 Jahre alter Schwede unerwartet ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk, und zwar per Drohne. Beim Schneeschaufeln in Trollhattan, etwa 75 Kilometer nördlich von Göteborg, hatte der Mann einen Herzstillstand erlitten. Ein Passant sah ihn zusammenbrechen und rief den Notruf, doch noch vor dem Notarzt kam erste Hilfe aus der Luft: eine Drohne mit einem sogenannten Laien-Defibrillator, die dem Ersthelfer knappe, klare Anweisungen gab, was nun zu tun sein. »Ich dachte zuerst, da filmt jemand, aber dann sagte die Stimme vom Notruf: Hier kommt der Defibrillator!« erzählte der Ersthelfer Mustafa Ali dem Sender Euronews. So rettete eine Drohne dem Mann aus Trollhattan das Leben.
Schweden hat schon im Jahr 2020 Drohnen mit AEDs ausgestattet, um gerade bei Herzpatienten schnellstmögliche Ersthilfe zu garantieren. Der Notarzt war in diesem Fall in fünf Minuten da, die Drohne in drei. Das klingt nach wenig Unterschied, kann aber über Leben und Tod entscheiden: Bei Herzstillstand zählt jede Sekunde, und mit jeder Minute, die ohne Behandlung vergeht, sinkt die Überlebenschance um 10 Prozent. Notärzte können im Stau steckenbleiben, den Drohnen einfach überfliegen. Die schwedische Pilotstudie zeigt, dass 95 Prozent der Drohnen schnell und sicher ankommen. Sie steuern via GPS das Mobiltelefon an, von dem der Notruf abgesetzt wurde. Sobald sie gelandet sind, piepsen sie, um Helfer auf sich aufmerksam zu machen. Mittels vorher aufgezeichneter Sprachnachrichten und mit einem ausgebildeten Sanitäter zusätzlich am Mikrofon als Backup leiten sie jeden weiteren Schritt an und erklären den Helfern vor Ort, wie der Defibrillator eingesetzt werden muss. Die AED-Lieferung per Drohne klappt auch deshalb so gut, weil Laien damit wenig falsch machen können. Der Defibrillator erkennt, wenn ein Stromstoß kontraproduktiv ist und funktioniert dann nicht. Das Risiko-Nutzen-Verhältnis ist also ziemlich eindeutig.
Auch Corona-Impfstoffe und Masken haben Drohnen schon an entlegene Orte geliefert, etwa im Inselstaat Vanuatu im Südpazifik
Skandinavien, allen voran Schweden, ist beim Einsatz von Drohnen den meisten anderen Ländern voraus, aber auch in zahlreichen anderen Ländern und Regionen gibt es Pläne, Drohnen zur medizinischen Versorgung einzusetzen, unter anderem in Kanada, den USA und verschiedenen Gegenden in Afrika.
Google hat sich bereits ein Drohnen-System für medizinische Lieferungen patentieren lassen, und die hessische Firma Wingcopter hat vor kurzem einen Großauftrag erhalten, für 14 Millionen Euro eine Flotte von Medizindrohnen in die USA zu liefern. Die Wingcopter-Drohnen haben eine Reichweite bis zu 110 Kilometer, erreichen um die 100 km/h und sind in Afrika bereits im Einsatz, zum Beispiel zur Lieferung von Medikamenten und Blutkonserven in Malawi. Auch Corona-Impfstoffe und Masken haben Drohnen schon an entlegene Orte geliefert, etwa auf Initiative von UNICEF im Inselstaat Vanuatu im Südpazifik.
In Deutschland nutzen Feuerwehren, Polizeistationen und Firmen bereits Drohnen, etwa bei der Personensuche, um schwer zugängliche Gebiete zu überblicken oder Stromleitungen zu überprüfen. Die Drohnen können autonom fliegen und Hindernisse erkennen, meist aber muss noch ein Pilot den Flug überwachen. Nun träumen innovative Krankenhäuser und Notfallmediziner davon, mit Drohnen ihre medizinischen Möglichkeiten signifikant zu verbessern.
Das Klinikum Ingolstadt zum Beispiel ist mitten in einem umfassenden, vom Bundesverkehrsministerium mit mehr als einer Million Euro geförderten Pilotprojekt namens »MEDinTime«, bei dem es darum geht, Spezialmedikamente per Hightech-Drohne schnellstmöglich zu Krankenhäusern in der Region zu transportieren. Die Herausforderungen sind derzeit nicht technischer, sondern bürokratischer Natur, denn im Augenblick müssen die deutschen Mediziner – im Gegensatz zu den Schweden – noch für jeden Flug eine Einzelgenehmigung beantragen. Technisch ist die Drohnenlieferung eigentlich kein Problem mehr, aber über die Frage, ob man den Himmel ohne größere Auflagen für unbemannte Flugobjekte freigeben darf, streiten sich noch Befürworter und Gegner.
Der Einsatz von Drohnen ist dann am sinnvollsten, wenn es entweder besonders schnell gehen muss, wie bei einem Herzstillstand, oder wenn es um abgelegene, medizinisch unterversorgte Gegenden geht. Auch Laborproben, Verbände oder Blutkonserven könnten per Drohne schnell dahin transportiert werden, wo man sie braucht, und das billiger und mit einer deutlich besseren CO2-Bilanz als per Auto oder Hubschrauber. Nachteile gibt es aber natürlich auch: Teure Apparate oder Medikamente können mit den Drohnen trotz GPS verloren gehen oder in die falschen Hände geraten. Stromleitungen, Menschenmassen und engstehende Häuser erschweren Landungen oder machen sie unmöglich. Und bei starkem Wind oder Regen können viele Drohnen nicht sicher fliegen, auch wenn die technische Ausstattung der Fluggeräte ständig weiterentwickelt wird.
Die Drohnen würden immer schneller und besser, sagt Mats Sällstrom, der als CEO von Everdrone das schwedische Pilotprojekt betreut und dort mit dem Karolinska Institutet und dem nationalen schwedischen Notrufzentrum, SOS Alarm, kooperiert. »Geschwindigkeit ist das A und O«, meint auch Timothy Amukele, Pathologe am Johns Hopkins Hospital in Baltimore, der gerade eine Pilotstudie für Laborlieferungen per Drohne abgeschlossen hat. »In fünf bis zehn Jahren wird der Transport per Drohne gang und gäbe sein.«
Das Ziel ist klar: Wenn es nach dem US-Startup Zipline geht, soll das Herbeirufen einer Drohne bald so einfach sein wie ein Taxiruf. Unter anderem haben Google Ventures und Microsoft Mitgründer Paul Allen in Zipline investiert. Nach erfolgreichen Einsätzen in Afrika beliefern deren Drohnen inzwischen auch entlegene Gegenden in den USA, etwa die Navajo Nation, mit Blutkonserven, Antibotika und Impfstoff.
»Den Leuten wird inzwischen klar, dass sich Drohnen für gute Zwecke nutzen lassen«, sagt Amukele. »In den Vereinigten Staaten werden sie seit langem von der Filmindustrie und in der Landwirtschaft eingesetzt, warum also nicht auch bei der Krankenversorgung? Da brauchen wir sie doch am meisten.«