Für manche Schwangere ist ihr Bauch eine wehrhafte Kugel, die sie mit Stolz vor sich hertragen: Sie gehen damit in die Berge zum Wandern, arbeiten bis kurz vor der Geburt – vertrauen ihrem Körper, seiner Stärke, die in dieser heiligen Zeit eine Urweibliche ist. Eine Freundin erzählte mir von einer Mitspielerin beim Basketball, die im siebten Monat noch zweite Bundesliga mit ihr gespielt hatte, mit vollem Einsatz, auch unter dem Korb.
Und dann gibt's Frauen, die ihren Bauch als hochsensibles Gefahrengut betrachten. Die furchtsam hineinhören, bei jeder Regung misstrauisch nachspüren. Deren bisheriges Leben buchstäblich zum Erliegen kommt, aus Angst, alles andere würde zur entscheidenden falschen Bewegung führen.
Frau M. gehörte zur zweiten Gruppe. Sie war gerade mal in der 28. Schwangerschaftswoche, als die Wehen einsetzen. Sie weinte still, als ihr Mann sie im Rollstuhl den Gang hinunter schob. Auch ihm war die Sorge ins Gesicht geschrieben: schmallippig und versteinert sah er aus. »Ich hab solche Angst. Ich hatte letztes Jahr eine Fehlgeburt«, wimmerte Frau M. – »Und das jetzt ist der wahrscheinlich letzte Versuch mit ICSI«.
ICSI – das Akronym steht für Intrazytoplasmatische Spermieninjektion – ist eine gängige Art der künstlichen Befruchtung. Dabei wird das Spermium in vitro mit einer Nadel in die Eizelle der Frau injiziert und diese, so sie denn befruchtet ist, wieder in die Frau eingesetzt. Die Methode hilft vor allem Paaren, bei denen der Mann nur über wenige und oder zu langsame Spermien verfügt.
Frau M. war 41, ich nahm an, auch das war ein Grund, dass sie sich von einer Kinderwunschklinik hatten helfen lassen. Nach der ersten Fehlgeburt war keine Zeit mehr zu verlieren gewesen.
Paare wie die M's bewegen mich sehr. So gegen die Zeit und statistische Unwahrscheinlichkeit anzukämpfen, muss furchtbar schwer sein. Im Freundes- und Familienkreis sind alle bereits bei der zweiten oder dritten Runde Nachwuchs, während man selbst nicht nur auf der Stelle tritt, sondern sogar Rückschläge erleidet. Und immer die drohende Aussicht, vielleicht gar keine Kinder bekommen zu können.
Frau M. hatte, wie wir es nennen, »still eröffnet«, das heißt der Gebärmutterhals hatte sich verkürzt, der Muttermund war bereits leicht geöffnet. Die Zeichen standen auf Geburt. Weil vor der 34. Schwangerschaftswoche die Lungen des Fötus nicht ausgereift sind, gaben wir eine Spritze, die die Lungenreife beschleunigt. Ebenso Wehenhemmer (die als Nebenwirkung übrigens zu Nervosität und Herzrasen führen können, genau das, was man in dieser Situation braucht: WTF Pharmaindustrie!)
In solch einem frühen Zeitpunkt hilft jeder Tag, den ein Baby länger im Bauch bleibt. Frau M. war so panisch, dass sie mich fragte, ob sie sich auf die Seite drehen könne, oder ob das zusätzlichen Stress für das Baby bedeutete. »Natürlich können Sie das«, sagte ich ihr, »so empfindlich ist das Baby nicht, nur Bodenturnen sollten wir heute nicht mehr.« Sie lächelte gequält.
»Meinen Sie, ich habe mir zuviel zugemutet? Ich hätte mich doch auch vom Arzt krank schreiben lassen und gar nicht mehr arbeiten können...« – »Machen Sie sich keine Vorwürfe. Man kann das Leben nicht auf Stopp stellen,« sagte ich ihr. Vorzeitige Wehen können aus den verschiedensten Gründen einsetzen. Natürlich spielt Stress eine Rolle, das weiß man. Aber künstliche Befruchtungen haben grundsätzlich ein erhöhtes Frühgeburt-Risiko. So hart das klingt, aber der Körper spielt nicht bei allem mit, was die moderne Medizin mit ihm vorhat.
Die Tage vergingen, Frau M. lag viel, ihr Mann immer an ihrer Seite. Auch über seinem Kopf schwebte die bange Frage: Was, wenn das Kind jetzt kommt, wie geht es ihm dann? Einmal fragte er mich, ob ich ihm die Frühchen-Station zeigen könne. Auf dem Weg dorthin bereitete ich ihn auf den Anblick der stark verkabelten Babys in den Brutkästen vor. Ich versuchte ihm zu erklären, dass die Station, auf der es ständig hektisch piepst und blinkt, wie eine große Einschüchterungsmaschinerie wirke, es aber in Wahrheit im Umkreis von ein paar hundert Kilometern keinen Ort gebe, in dem Frühchen so gut versorgt würden wie hier. Er nickte still.
»Hast du Frau Böhler erzählt, dass du selbst so ein extremes Frühchen warst?«, fragte seine Frau, als wir zurückkamen. »Du kamst auch in der 28. Schwangerschaftswoche, hat mir deine Mutter erzählt. Ihr hat man damals gesagt ›Nehmen sie schon mal Abschied von ihrem Jungen‹.«
Tatsächlich waren vorzeitige Wehen wie bei seiner Mutter in der 28. Woche – ich schätzte ihn auf Anfang 40 – Mitte der siebziger Jahre oft noch ein Todesurteil. Heute sind Beatmungsgeräte sanfter und die operativen Methoden, einen so unfertigen Säugling ins Leben hinüberzuretten, besser.
Bei den M.'s lief es glimpflicher ab: Nach ein paar Tagen konnten wir sie entlassen. Ich sah sie erst in der 38. Woche wieder. Bis dahin, so hat mir ihr Mann später erzählt, habe Frau M. fast nur daheim auf dem Sofa gelegen, »wie in dem Lied aus der Vogelhochzeit, »kennen Sie das?«. Er sang: »Immer nur brüten, brüten, brüten, das Ei behüten.« Sein Gesicht sah ganz anders aus.
Doch lustig scheinen die letzten Wochen nicht gewesen zu sein: Seine Frau habe sich wie ein rohes Ei gefühlt, erzählte er. Ihre Muskeln hätten vom vielen Liegen massiv abgebaut, die einstige Sportskanone war nun schon nach wenigen Treppenstufen völlig außer Atem. Auch ihr fröhliches Wesen habe ihm gefehlt, ihr Selbstbewusstsein und Vertrauen in ihren Körper. Jedes Zwicken im Bauch habe seine Frau eine manische Google-Suche nach den Ursachen starten lassen, vor den Arztbesuchen hatte sie Albträume, der Muttermund könnte wieder geöffnet sein. Als wäre das dann ihr persönliches Versagen.
Aber sie hatte es über die letzten Meter geschafft. Ihr Kind, ein kleines Mädchen, nannten die beiden Juna. Das sei keltisch und heiße: die Ersehnte.