Wenn Ärzte ihre Kinder bei uns auf der Station bekommen, ist das immer spannend: Können sie sich der Geburt hingeben oder mischt sich ihr Verstand permanent ein? Werden sie ganz rührend und menschlich oder geben sie sich cool und professionell?
Die Frau eines unserer bekanntesten Chirurgen sollte wegen einer vorangegangenen Beckenfraktur ihr Baby per Kaiserschnitt bei uns bekommen. Sie selbst ist von Beruf Gynäkologin (allerdings nicht bei uns im Krankenhaus). Ich war gespannt, ob sie und vor allem Herr Dr. P. sich mit der Rolle als werdende Eltern zufrieden geben würden. Doch schon bei der OP-Vorbereitung war klar: Der heutige Kaiserschnitt würde eine Art Championsleague-Finale des FC Bayern sein, das man zusammen mit Bastian Schweinsteiger und Philip Lahm anschauen muss.
Übertragen auf Dr. P. hieß das: Der für ihn vorgesehene Stuhl am Kopfende seiner Frau blieb verwaist und er moderierte fachmännisch jeden Schritt. »Schatz, jetzt jetzt werden noch deine Schamhaare rasiert, weißt du ja, das wird gemacht, damit man später besser nähen kann.« Als ich gerade die Sachen bereitlegte, fragte er seine Frau: »Soll ich dir vielleicht den venösen Zugang legen?« Sie lehnte lächelnd ab.
Im OP angekommen, ging es dann weiter: »Der Anästhesist hat das toll gemacht mit der Spinalanästhesie, direkt getroffen.« Er linste neugierig über den Sichtschutz und kommentierte live für seine Frau: »Jetzt wird dir der Blasenkatheter eingeführt, nicht erschrecken, das kann sich etwas seltsam anfühlen.«
Lustig, eine Geburt mit Untertiteln, dachte ich und grinste Max, den Kinderarzt, an, dessen Augenfalten zwischen OP-Haube und Mundschutz ebenfalls amüsiert tanzten. »Schatz, gleich prüfen die Kollegen, indem sie dir mit der Pinzette in den Bauch zwicken, ob du noch etwas spürst,« erklärte Doktor P. eifrig. »Ich weiß doch, wie das abläuft!«, hörte ich die Frau, die ja schließlich auch vom Fach war, nun sagen. Mir kam das Wort Dadsplaining in den Kopf.
Max scherzte: »Wir haben auch noch einen OP-Kittel für Sie, Herr P., wenn Sie mit an den Tisch wollen.« Falls Max dachte, Herr Dr. P würde sich durch diesen sanften Seitenhieb zurück auf seinen Stuhl setzen, wurde er eines Besseren belehrt. Denn P. lugte weiter Richtung dunkle Seite des Mondes und berichtete live. »Der Kollege hat einen guten Schnitt gesetzt, nicht zu groß. Wir wollen ja nicht, dass deine Narbe später mal aus der Bikini-Hose ragt, gell?« Ich blickte in die Sehschlitze der restlichen Anwesenden: Das kollektive Grinsen ging in Augenrollen über.
Die operierende Ärztin riss nun die Bauchdecke unterhalb der Haut auseinander, Schicht für Schicht, mit aller Kraft wie beim Tauziehen. Auch wenn ich das schon hunderte Male gesehen habe, bin ich jedes Mal aufs Neue erstaunt, wie sehr sich die Ärzte dabei ins Zeug legen müssen. »Schatz, unglaublich!« schwärmte Dr. P jetzt mit Blick über den Sichtschutz, »ich kann deine Bauchmuskeln sehen. Du hast unglaublich schöne Faszien!« Ein Chirurgenkompliment, wie es liebevoller nicht hätte ausfallen können. Gelächter im OP.
Natürlich herrscht nicht bei jedem Kaiserschnitt eine so ausgelassene Stimmung wie bei den P.s. Aber wir versuchen bei allem gebotenen Ernst, die Situation für die werdende Mutter und den Partner so wenig einschüchternd wie möglich zu gestalten.
Denn anders als im Kreißsaal, wo ich über weite Strecken mit der Frau und gegebenenfalls ihrem Partner alleine bin, wimmelt es bei einem Kaiserschnitt nur so vor vermummten Gestalten. Acht Personen sind mindestens im OP: Der Anästhesist kommt mit einer Pflegekraft, der Operateur mit einem OP-Assistenten. Dann gibt es den »Instrumentierenden«, das ist eine OP-Pflegekraft, sowie einen sogenannten Springer, der sich um alles kümmert, was nicht steril geschieht. Dann gibt es noch eine Hebamme und einen Kinderarzt. In einem großen Perinatalzentrum wie unserem kommt es auch oft vor, dass eine Fachrichtung noch einen Auszubildenden mit in den OP nimmt. Bei Mehrlingsgeburten sind wir dann zum Teil doppelt und dreifach besetzt. Bei einer Vierlingsgeburt neulich waren wir 28 Leute im OP – Babys und Eltern nicht mitgerechnet!
Dennoch schaffen es manche Paare, sich in all dem Trubel eine kleine Insel zu schaffen, das rührt mich immer sehr. So war es schließlich auch bei den P.s. Als das Baby aus der Gebärmutter herausgehoben wurde und zu quäken begann, haben wir es wie üblich in ein rotes Handtuch gewickelt (die Farbe soll das Licht in der Gebärmutter simulieren) und der Mutter auf die Brust gelegt. Herr P. war mit einem Mal still und betriebsam geworden. Er griff sich eines der OP-Tücher und baute eine kleine Höhle, um das Kind vor dem grellen Licht zu schützen.
Während seine Frau genäht wurde, verschwanden ihre Köpfe darin und die beiden schmusten minutenlang mit ihrem Baby. Nichts, nur sanftes Wispern drang nach außen. Und ich musste an Kooks von David Bowie denken, jenen Song, den er direkt nach der Geburt seines Sohnes geschrieben hat. Bowie beschreibt darin, wie das Kind Teil der eigenen Liebesgeschichte wird. Und er bricht eine Lanze für Eltern, die ein wenig durchgeknallt sind. Bei Gelegenheit werde ich Herrn P. mal davon erzählen.
Will you stay in our Lovers' Story
If you stay you won't be sorry
'Cause we believe in you
Soon you'll grow so take a chance
With a couple of Kooks
Hung up on romancing