Von Amtswegen

Unsere Autorin hatte eine Zeitlang recht viel Kontakt zum Finanzamt. Wenn überhaupt jemand Zeit hatte, wurde sie belehrt, ermahnt, bedroht. Sie wollte wissen, warum das so ist.

    Es läuft etwas schief zwischen den Behörden und den Bürgern, immer wieder. Experten sprechen von einer »Asymmetrie in der Staat-Bürger-Kommunikation auf drei Ebenen: des Wissens, der Macht und der Sprache«.

    Nach Möglichkeit vermeidet man also den Kontakt mit Behörden. Legt Briefe zur Seite, verschiebt, verdrängt, vergisst. Doch irgendwann muss man sich der Dinge dann doch annehmen. Besonders mit dem Finanzamt bleibt einem der Kontakt ja nicht erspart. Das macht die Beamten des Finanzamts zu den Stellvertretern des Staats, mit denen man am häufigsten zu tun hat, wenn man nicht ständig zu schnell fährt oder umzieht.
    Unsere Autorin hatte eine Zeitlang recht viel Kontakt zum Finanzamt. Sie fand ihn nicht angenehm. Wenn überhaupt jemand Zeit hatte und sie nicht gleich zum nächsten weiterstellte, wurde sie belehrt, ermahnt, bedroht, am Telefon und auch per Korrespondenz.: »Wenn Sie nicht ...zahlen..., ist für jeden Monat ... zu entrichten. Falls Vollstreckungsmaßnahmen ergriffen werden müssen...«

    Sie fragte sich, woher dieser scharfe Ton kam. Woher die Aggression. Woher die Unterstellung schlechter Absichten. Sie fragte sich, ob den Beamten bewusst ist, dass sie die Schnittstelle zwischen dem Bürger, dem Steuerzahler, und dem Staat sind. Und wenn ja, warum sie sie so behandelten. Sie fragte sich auch, ob die Unterstellung schlechter Absichten seitens der Behörde bei ihr umgekehrt zur Unterstellung schlechter Absichten führte und so weiter.
    Wann immer sie von ihren Erlebnissen erzählte, kamen die Geschichten der anderen: Das Finanzamt, das schnell nimmt, sich aber viel Zeit damit lässt, zurückzugeben. Das Finanzamt, das Mahnungen verschickt und hohe Säumnisgebühren aufruft, wenn man doch um Aufschub gebeten oder auch nur schriftlich ein paar Fragen gestellt hat.

    Meistgelesen diese Woche:

    Sie las einen Text des Philosophen Peter Sloterdijk, der darüber nachdachte, wie es wäre, wenn der Staat Steuern nicht mehr erzwingen, sondern zur freiwilligen Abgabe machen würde. Dann könnte er nicht mehr drohen, nicht mehr sanktionieren. Sie las einen Text des Juristen Paul Kirchhof, der Sloterdijk widersprach, und natürlich waren auch seine Argumente stichhaltig: »Ein Staat kann nicht auf die freiwillige Zahlung setzen, solange er nicht nur das Scherflein der Witwe empfangen, sondern auch den Geldsack des Geizkragens belasten will.«

    Durch einen glücklichen Umstand geriet unsere Autorin an Frau L., eine Sachbearbeiterin im Bereich Steuererhebung. Frau L. war freundlich. Frau L. behandelte sie wie einen gleichwertigen, erwachsenen Menschen. Frau L. war auf ihrer Seite. Frau L. sagte, keiner hier möchte Sie ruinieren.

    Unsere Autorin wurde neugierig. Sie wollte Frau L. kennen lernen. Wollte erfahren, wie sich Finanzbeamte eigentlich so fühlen. Ob sie den Steuerzahler wirklich unter Generalverdacht stellen. Wie sie ihn überhaupt nennen, den Steuerzahler. Ob sie sich für die Menschen hinter der Steuererklärung interessieren. Wie lang sie für eine Steuererklärung brauchen. Ob sie wissen, dass der Ton und die Form ihrer Ansprache für den Steuerzahler schwer zu verstehen und schwer auszuhalten sind.

    Doch so einfach, wie sie sich das vorstellte, eine Finanzbeamtin zu treffen, war es nicht.

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    Illustration: Hudson Christie