Feministischer Madeirawein

Das portugiesische Dessertgetränk war unserer Autorin aus gutem Grund verboten. ­Andererseits: Das Verbot liegt Jahrzehnte zurück. Zeit für eine Emanzipation.

Foto: Erli Grünzweil

Sie stellt uns das Dessert hin, portugiesischen Flan mit einem Lavendelzweig, und sagt: »Ich hätte da noch was ganz Besonderes für euch, wollt ihr probieren?«

Wenn eine Gastgeberin mit diesem Satz um die Ecke kommt, sollte man die Ohren spitzen und nicken und lieb schauen, also spitzen wir die Ohren und nicken und schauen lieb.

Sie schenkt uns ein warmes ­Lächeln, geht zum Regal hinterm Tresen und kommt mit zwei kleinen, geschliffenen Kristallgläsern und einer schweren, dunkelbraunen Flasche zurück an unseren Tisch.

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»Madeira, Süßwein aus Funchal, produziert von einem feministischen Kollektiv, den hat die Mutter der Chefin entdeckt, was ganz Besonderes.«

Sie füllt den Madeira in die mit dem Licht spielenden Gläser, er ist golden und ja, schaut so lieb. Kurz überfällt mich eine uralte Angst.

Als ich vierzehn war, feierten meine Eltern eine dieser Partys, die meine Eltern und die Nachbarn aus den umliegenden Bungalows regelmäßig feierten, die ­Partys gingen immer durch den ­ganzen jeweiligen Bungalow, die Erwachsenen waren zwischen vierzig und fünfzig Jahre alt, es gab Wein und Langspielplatten, und das war auch schon das Partykonzept – die Last des durchgehend vernünftigen Erwachsenenlebens einfach für einen Abend links liegen und es so richtig krachen lassen, Montag geht’s zurück in die Vernunftkiste. Der anwesende Nachwuchs war zwischen zwölf und sechzehn Jahre alt, hing auf den Treppen rum – wir hatten ja sonst nichts – und beobachtete mit wachsender Irritation, was die Erwachsenen abzogen: Orangentanz, Streichholzschachteltanz, Trinkspiele, Polonaisen, und, huch, mit dem falschen Mann hinterm Vorhang verschwunden.

Auf jener Party wurde es dem Nachbarsjungen Christoph und mir so langweilig, dass wir anfingen, die Reste zu trinken. Mein Vater ­bekam es mit, löste sich aus der Polonaise, befahl uns, links und rechts von ihm Platz zu nehmen, und stellte leere Gläser vor uns auf. Er goss goldenen Wein ein und sagte: ­»Trinken.«

Wir tranken, ich sagte: »Hm, lecker, süß.«

»Genau«, sagte er, nahm mir das Glas ab, schüttete den Inhalt in die Zimmerpalme und goss einen anderen Wein ein.

»Trinken.«

Ich trank und sagte: »Wäh, sauer.«

»Richtig«, sagte er. »Weil er hier«, er deutete auf den verdutzten Nachbarsjungen, »will dir irgendwann an die Wäsche, und wenn du das süße Zeug trinkst, hat er leichtes Spiel. Deshalb trinkst du ausschließlich trockenen Wein, am besten als Schorle.«

»So wie Apfelschorle?«, fragte ich.

Mein Vater nickte, klemmte sich eine leere Streichholzschachtel auf die Nase und ging wieder tanzen.

Bei mir hat damals irgendwas geklickt, süßen Alkohol schiebe ich bis heute empört von mir, die Worte meines Vaters haben offenbar gesessen.

Aber der feministische Madeira. Das goldene Licht im Glas. Die liebe Gastgeberin. Der Flan. Die warme Dunkelheit.

Mein Begleiter hat mindestens vierzig Jahre mehr als vierzehn, und vielleicht will er mir ja gar nicht an die Wäsche, vielleicht stimmt auch nicht, was mein Vater gesagt hat …?

Mein Begleiter hebt sein Glas, ich hebe meins, wir stoßen an, das Kristall klirrt, ich trinke das süße Zeug, es schmeckt null bedrohlich, ganz im Gegenteil, es schmeckt so weich und lieb, und neben uns wächst ein Kamin voll knisterndem Holzfeuer aus der Wand, die Zimmerpalme meiner Erinnerung wird zu Palmen in Funchal, ich schaue mich um, ich sehe die anderen Erwachsenen, alle trinken den süßen Madeira. Ja, Dessertwein ist was ganz Besonderes, und es passiert nichts Schlimmes, außer natürlich die Welt da draußen.