Ein großer kleiner Kampf

Was tun, wenn der sonst sehr nette ältere Nachbar einem den »Refugees Welcome«-Aufkleber immer wieder vom Briefkasten kratzt?  

Illustration: Serge Bloch

»Wir leben in einer netten Hausgemeinschaft. Man unterstützt sich, pflegt einen freundlichen Umgang. Unser älterer Nachbar hat sich nun wiederholt verärgert über den ›Refugees Welcome‹-Aufkleber auf unserem Briefkasten geäußert und kratzt ihn nach und nach ab. Wir finden, dass man in Zeiten wie diesen Stellung beziehen muss, wollen unseren ansonsten netten Nachbarn aber auch nicht ärgern. Die unpolitischen Aufkleber unserer Nachbarn stören ihn nicht.« Ronja E., Stuttgart

Ein wichtiger Hinweis, dass Ihren Nachbarn die unpolitischen Aufkleber der Nachbarn nicht stören, es geht ihm also nicht grundsätzlich gegen Aufkleber an Briefkästen, was ja ein ästhetisches Problem sein könnte oder ein feuer­polizeiliches oder was auch immer. Es geht um den Inhalt. Wenn Ihr Nachbar mal wieder die Stromrechnung aus seinem Briefkasten nimmt oder eine vom Arzt, ärgert er sich also explizit über Ihre politische Haltung.

Ehrlich gesagt, sein Problem. Machen Sie es nicht zu Ihrem. Es empfiehlt sich in ­Zeiten wie diesen, den Humor nicht zu verlieren, sonst wird man verrückt. Nehmen Sie’s sportlich. Lassen Sie ihm sein kleinmütiges Hobby, täglich, wenn gerade keiner guckt, ein Eckchen mehr von ­Ihrem Aufkleber wegzuknibbeln. Womöglich lässt er sich extra dafür einen Fingernagel spitz wachsen wie so ein wütender Gitarrist. Aber man kann sich wirklich sehr günstig Aufkleber drucken lassen, vor allem in größeren Mengen. Bestellen Sie sich einen Schwung von 365 »Refugees Welcome«-Aufklebern und zerstören Sie kühl und gelassen allabendlich das je­weilige Tagwerk Ihres Nachbarn. Betrachten Sie es als Spiel. Stellen Sie sich auf ­ein längeres Turnier ein, es gewinnt, wer länger durchhält, geben Sie sich niemals geschlagen. Nach Ablauf eines Jahres bestellen Sie sich einen neuen Schwung Aufkleber.

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Um einen weiten Bogen zu schlagen von Ihrem Briefkasten zurück in die deutsche Geschichte: Das Problem sind nicht die paar Leute, die vehement anderen Menschen den Tod wünschen oder ihn in Kauf nehmen, aus Angst, sonst persönlich etwas zu verlieren. Das Problem ist die passive, schweigende Masse. Es ist nur ein Aufkleber, könnte man sagen, nur ein Briefkasten, wer sieht den schon, aber es ist mehr. Pick your fights, heißt es doch ­immer, dies ist einer. Gewinnen Sie ihn.