»Kürzlich hat meine Tocher (17) mit einer Freundin (16) einen Kurs in einer Nachbarstadt gemacht. Die mir ebenfalls freundschaftlich verbundenen Eltern der Freundin wollten die Mädchen mit dem Auto hinfahren. Ich wurde gefragt, ob ich sie abhole. Da ich bemerkte, dass der Kurs fußläufig zum Bahnhof stattfand, und die beiden ohnehin Tickets besitzen, wollte ich sie nicht dort auflesen, sondern bot nur an, sie am heimischen Hauptbahnhof einzusammeln. Ich meine, den Energieeinsatz der Autofahrt sollte man sich sparen, einen Zeitgewinn gibt’s nicht, und ich möchte meine Tochter zur Selbstständigkeit erziehen. Ich fuhr also nicht, die Eltern der Freundin holten die beiden dann auch ab in Sorge, ihnen könnte auf dem Weg etwas zustoßen. Handelte ich unsolidarisch?« Guido O., Duisburg
Nun wüsste man noch gerne, ob Sie das vorher mit den Eltern des anderen Mädchens besprochen hatten. Es gibt ja nur zwei Möglichkeiten – entweder Sie haben das auf Elternebene vorab geklärt, oder aber das andere Mädchen hat es ihren Eltern erzählt, woraufhin die entschieden, dann eben auch noch die Rückfahrt zu machen. In letzterem Fall könnte man Ihr schlechtes Gewissen verstehen, denn für die anderen Eltern könnte es ausgesehen haben, als hätten Sie einfach keine Lust auf die Fahrerei. Oder sich zumindest nicht an eine Abmachung gehalten, die immerhin auch eine Minderjährige betraf, für die nicht Sie die Aufsichtspflicht haben, sondern deren Eltern. Und wenn diese Eltern aus Gründen, die in ihrem Ermessen liegen, finden, ihre Tochter solle noch nicht ohne Erwachsenenbegleitung Bahn fahren, sind Sie, wenn Sie sich darüber hinwegsetzen, im Unrecht.
Was nicht heißt, dass Sie mit Ihrem Erziehungsansatz danebenliegen. Man kann alle Ihre Argumente gut verstehen, aber darum geht es hier nicht. Es steht niemandem zu, sich über die Entscheidungen von Eltern hinwegzusetzen, die deren Kinder betreffen, ganz gleich, ob man die selbst gutheißt oder nicht. Wenn Sie all die Gründe geltend machen wollen, die Sie anführen, hätten Sie dennoch das andere Mädchen abholen müssen, selbst wenn Ihre Tochter mit der Bahn gefahren wäre. Und sogar noch eine Möglichkeit hätte es gegeben: Sie hätten die Mädchen mit der Bahn abholen können. Es sollen schon Eltern im Bordrestaurant ein Chili con carne gegessen haben, während ihre Kinder – relativ selbstständig – in einem Abteil in der Nähe saßen. Wenn das Chili con carne nicht gerade aus war. Und die Küche überhaupt geöffnet hatte. Und der Zug gekommen war. Aber das ist eine andere Geschichte.