Im Puppenladen geben sich die beiden Frauen gelegentlich als Schwestern aus. Ist einfacher so. Sie tragen ja denselben Nachnamen, also dächte man sonst, sie wären miteinander verheiratet. Zwei Frauen mit demselben Familiennamen, weil sie denselben Mann geheiratet haben, sollen beste Freundinnen sein? Zusammen wohnen, zusammen in den Urlaub fahren, zusammen arbeiten? Kann das sein? Wenn sie von ihrer Schwester reden, scheint es die Leute im Laden nicht groß zu irritieren, dass sich die beiden nicht sehr ähnlich sehen. Gerti, mit 77 Jahren etwas kräftiger und kleiner als die 78-jährige Hanni. Wenn genug Zeit ist, erzählen Gerti und Hanni aber schon, dass sie keine Schwestern sind. Sie erzählen ihre Geschichte ja eigentlich gern, auch hier. Bloß ihren Nachnamen wollen sie nicht in der Zeitung sehen. Sie wollen nicht, dass jedermann jederzeit bei ihnen klingeln könnte, der diesen Text gelesen hat.
Es war nicht so, dass die eine der anderen den Mann ausgespannt hätte. Dann wären sie heute nicht beisammen, da sind sich beide Frauen sicher. Im Abstand von zwanzig Jahren verliebten sie sich in denselben Mann, Bernd. Und sie mochten sich schon, bevor Bernd starb. Aber beste Freundinnen wurden Gerti und Hanni erst nach seinem Tod.
Kennengelernt haben sich die beiden 1980 im Krankenhaus. Hanni lag als Patientin im selben Zimmer wie Bernds Mutter. Bernd und Gerti redeten einige Jahre nach ihrer Scheidung 1971 nicht miteinander, aber zur Schwiegermutter hatte Gerti immer noch ein gutes Verhältnis. Gerti kam ins Krankenhaus zu Besuch, begegnete Hanni, und sie waren sich auf Anhieb sympathisch. Gerti arbeitete beim Herrenausstatter Moshammer im Verkauf, Hanni gleich nebenan in einem italienischen Modegeschäft. Beide hatten sie jung Kinder bekommen, beide waren früh getrennt von den Vätern der Kinder.
Hanni mochte auch Bernd, als er seine Mutter besuchte. Sie wurden ein Paar. Mit Gerti hatten erst mal beide keinen Kontakt. Gerti war mit 16 schwanger geworden. »Das war schrecklich zu der Zeit«, sagt sie. 1961, kurz vor der Antibabypille. Bernd war drei Jahre älter als sie. Kurz nach der Geburt wurde Gerti noch mal schwanger. »Wir lebten in einer kleinen Wohnung zu viert, 35 Quadratmeter, ein Zimmer, Küche, Bad. Die Großmutter hat auf die Kinder aufgepasst, Bernd und ich gingen arbeiten. Damals hat man ja so wenig verdient, wenn man nur acht Jahre zur Schule gegangen ist und nicht mal Englisch konnte. Wir mussten ackern, richtig schuften und waren trotzdem ein Sozialfall.«
»Er ist dann auch in Kreise geraten, mit denen ich nichts zu tun haben wollte. Ist trinken gegangen mit seinen Spezln.«
Hanni sagt, bei ihr war das ähnlich. Sie kam mit 23 aus Straubing nach München. Auch sie ohne höhere Schulbildung, auch sie früh schwanger. Auch sie früh getrennt und schon zehn Jahre geschieden, als sie Gerti und Bernd mit Ende dreißig im Krankenhaus kennenlernte.
Gerti wurde mit elf Jahren Vollwaise und wuchs bei der Großmutter auf. Nach der Schule, erzählt sie, machte sie eine Ausbildung als Fotografin. »Aber ich weiß nicht, wie oft ich den Beruf gewechselt habe. Im Labor habe ich auch gearbeitet. Als meine Großmutter einen Schlaganfall bekommen hatte, konnte sie die Kinder nicht mehr hüten, und ich musste auch noch die Großmutter pflegen.« 92 Jahre alt sei sie geworden.
Gerti und Bernd waren zehn Jahre zusammen. »Wir haben uns auseinandergelebt«, sagt Gerti. »Zwei Kinder, kein Geld. Er ist dann auch in Kreise geraten, mit denen ich nichts zu tun haben wollte. Ist trinken gegangen mit seinen Spezln.« Sie war ihm nicht böse wegen der Trennung – »Reisende soll man nicht aufhalten«, sagt sie. Bernd hatte es auch schwer. Seine Mutter wollte nach Paris, überließ ihn ihrer Schwester, die laut Gerti »in zerrütteten Verhältnissen« lebte. »Dann ist Bernd abgehauen, und sie haben ihn ins Waisenhaus gesteckt.« Bernd wurde Konditor und mit 19 Vater.
Anfang der Neunzigerjahre nahm Gertis jüngere Tochter Kontakt zu Bernd auf, ihrem Vater. Da waren Bernd und Hanni bereits ein Paar. Bernd und Gerti wurden Großeltern, bald trafen sich alle gemeinsam zur Taufe und dann auch zu allen weiteren Familienfesten. Gerti mit ihrem zweiten Mann Dieter und Gertis zwei Töchter mit deren Kindern,
Gertis Ex-Mann Bernd mit seiner zweiten Frau Hanni und deren Tochter. Sie feierten alle Geburtstage miteinander, und manchmal waren sie zu Weihnachten vierzig Leute.
Es gab keine Eifersucht zwischen den Frauen oder den Männern, so sagen es Hanni und Gerti beide. »Es war lustig. Eine schöne Zeit, bevor Bernd gestorben ist«, sagt Hanni.
1991 heirateten Hanni und Bernd, 1999 starb er, Lungenkrebs mit 57, es ging schnell. Nach Bernds Tod verbrachte Hanni die meisten Wochenenden mit Gerti und Dieter. Zu dritt gingen sie spazieren oder schwimmen. Dieter wurde 2002 krank. Die Frauen verabredeten, nach seinem Tod zusammenzuziehen. »Da hat der Dieter in Ruhe sterben können«, sagt Gerti. »Alle Kinder waren glücklich, alle Enkelkinder, sie wussten ja, wie gut Hanni und ich uns verstehen.«
2007 starb Dieter, Hanni zog für ein Jahr auf Probe zu Gerti und behielt ihre alte Wohnung. »Und dann haben wir uns was anderes gesucht«, sagt Gerti. »Die Erinnerungen an Dieter steckten in dem alten Haus.« Seit 14 Jahren leben Hanni und Gerti nun in einem kleinen Reihenhaus in einem Münchner Vorort.
Seit Hanni in Rente ist, arbeitet sie bei Gerti im Laden mit. Gerti besitzt seit 45 Jahren einen Puppenladen in München-Schwabing. Beide beziehen eine kleine Rente, beide arbeiten, weil es ihnen Spaß macht, aber auch weil sie das Geld brauchen.
Bis Gerti achtzig ist, will sie weiterarbeiten. »Dann soll Schluss sein, wenn es nach den Kindern geht«, aber Gerti weiß nicht, ob sie das schaffen wird. Als Hanni und Gerti im vorigen Winter Corona hatten, war ihnen so langweilig, weil ihnen der Kontakt zu den Leuten fehlte. »Sie können sich nicht vorstellen, was für verrückte Menschen wir da erleben. Erwachsene Männer, die mit ihren Teddybären im Bett schlafen.«
Hanni und Gerti stehen jeweils zwei Tage im Laden. Montags ist Ruhetag. Sie frühstücken gemeinsam, dann setzen sie sich eine Weile in den Garten, bevor eine gegen elf in den Laden aufbricht. Sie kochen jeden Abend, »ich bin die Beiköchin und schnipsel das Gemüse«, sagt Hanni. Gertis jüngere Tochter nennt Hanni ihre Stiefmutter. Hanni und Gerti fahren gemeinsam in den Urlaub. Nach Bad Griesbach in die Therme, an den Gardasee. Wochenends gehen sie wandern. Und sie gehen schwimmen. Sie trinken den Kaffee stark, und Campari ist ihr Lieblingsgetränk. Hanni liest Gerti morgens manchmal aus der Zeitung vor. Gerti bewundert das Organisationstalent von Hanni, und die Gertis Spontaneität.
Bei ihrem Einzug dachten alle, sie seien ein lesbisches Paar. »Wir haben alle Nachbarn eingeladen, damit sie gleich Bescheid wissen: Wir sind nur zwei Freundinnen mit demselben Nachnamen«, sagt Hanni. »Wie ein Ehepaar, bloß ohne Sex«, sagt Gerti.
Eine Nachbarin hat den beiden neulich erzählt, dass sie es mit ihrer Freundin einmal genauso machen will, wenn ihr Mann einmal nicht mehr sein sollte.