Wang, Lam, Chung, Wu... wer?

An diese Namen sollten wir uns gewöhnen: Jetzt zeigen junge asiatische Designer, wo es langgeht. Da gehen wir doch mit.

Jason Wu verneigt sich vor den Zuschauern seiner Fashionshow.

Der Witz ist schon ein bisschen ausgelatscht: »Jason Who?« steht in Artikeln über den jungen Mann, der Jason Wu heißt und über Nacht bekannt wurde, als Michelle Obama bei der Amtseinführung ihres Mannes ein weißes, fedriges Abendkleid aus seiner Kollektion trug. Den Namen können sich zweieinhalb Jahre später außerhalb der Modewelt trotzdem nur die wenigsten merken. Oder sie verwechseln ihn mit dem Designer Alexander Wang. Oder mit »Phillip Lam«, auch wenn der eigentlich Phillip Lim heißt. Es sei denn, man meinte Derek Lam.

Nach Calvin Klein, Ralph Lauren und Marc Jacobs klingt die Zukunft der amerikanischen Mode jetzt nach »Wu! Wang! Lim! Lam!«. Bei den CFDA-Awards – den sogenannten Mode-Oscars des Council of Fashion Designers of America – wurden im letzten Jahr gleich drei Designer mit asiatischen Wurzeln in den wichtigsten Kategorien ausgezeichnet. Alexander Wang (taiwanesische Eltern) als bester Accessoire-Designer des Jahres, Richard Chai (koreanische Eltern) für seine Männer- und Jason Wu (in Taiwan geboren) für seine Damenkollektion. Bei der New York Fashion Week, die gerade stattfindet, werden neben ihren vor allem die Kollektionen von Phillip Lim, Derek Lam und Thakoon mit dem größten Interesse verfolgt. Wo kommen all diese »Asia-Designer« plötzlich her?

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Phillip Lims Eltern stammen aus China und wanderten in den Siebzigerjahren nach Kalifornien aus. Sein Vater war professioneller Pokerspieler und trug einen goldenen Gürtel mit der Aufschrift »Lucky«. Weil diese Strategie nicht immer funktionierte, war vor allem Lims Mutter für den Unterhalt der Familie zuständig. Sie arbeitete als Schneiderin, ihr Sohn wuchs mit dem unaufhörlichen Rattern der Nähmaschine auf, und deshalb sollte aus ihm einmal etwas Besseres werden. Als er am College Wirtschaft gegen Hauswirtschaft tauschte, sagte er das seinen Eltern nicht. 2005 gründete er sein eigenes Label – mit 31, deshalb heißt das Label auch »3.1 Phillip Lim«.

Derek Lam, 45, kommt aus San Francisco, wo seine chinesischen Großeltern eine Fabrik für Brautmode besaßen, seine Eltern importierten Stoffe aus Hongkong. Die halbe Kindheit verbrachte er auf dem Schoß der vielen »Tanten«, der Näherinnen, und beobachtete sie stundenlang dabei, wie sie Fäden um Ess-Stäbchen wickelten, um daraus Spaghettiträger für Hochzeitskleider zu machen.

Man übersieht, dass die amerikanische Textilbranche schon lange von asiatischen Einwanderern geprägt wurde, weil die Aufgabenverteilung so schön klar geregelt war: Sie fertigten, vernähten oder reinigten im Verborgenen, die Kreation übernahmen andere. Erst die Generation der heute 30- bis 40-Jährigen machte sich allmählich frei von dieser »Tradition«. »Wir Asiaten waren die Arbeiter, jetzt können wir auch die Kreativen sein«, sagt Derek Lam, der die renommierte New Yorker Modeschule Parsons besuchte, dann bei Michael Kors lernte und 2003 seine erste eigene Kollektion präsentierte. »Das ist eine natürliche Entwicklung, ein Generationending.« Die frühen Einwandererkinder wurden von ihren meist sehr armen Eltern darauf gepolt, bessere Berufe zu ergreifen, als sie selbst es konnten. »Damals hieß es: Warum willst du Mode machen, wenn du Arzt sein könntest?«, erinnert sich Anna Sui, die neben Vera Wang zu den wenigen Ausnahmen gehört, die sich als »ABCs – American born Chinese« – bereits in den Neunzigerjahren einen Namen in der New Yorker Mode machen konnten. Heute werden die Entwürfe von Jason Wu oder Thakoon, der aus Thailand stammt, regelmäßig von Michelle Obama getragen, Phillip Lim macht nach nur fünf Jahren rund 60 Millionen Dollar Jahresumsatz, Doo-Ri Chung – immerhin eine Frau im Feld – startete ihr Label im Keller der Reinigung ihrer koreanischen Eltern; mittlerweile verkauft sie ihre drapierten Jerseykleider in teuren Läden wie Bergdorf Goodman.

Den Reflex, »ein Muster für eine Designära definieren zu wollen«, habe es ja schon immer gegeben, sagt Phillip Lim, der sich ungern in die »Asia Box« stecken lässt: »In den Achtzigern waren es die japanischen Modemacher um Yohji Yamamoto, Issey Miyake und Rei Kawakubo, in den Neunzigern die ›Antwerp Six‹ mit Dries Van Noten, Walter Van Beirendonck und Ann Demeulemeester. Jetzt eben wir.« Mit dem Unterschied, dass die belgischen oder japanischen Designer damals durchaus so etwas wie eine gemeinsame Stilrichtung verfolgten und weltweit die aktuelle Avantgarde der Mode verkörperten. Die Wangs und Lims dagegen verbindet auf den ersten Blick allenfalls, dass ihre Mode nichts mit dem klassischen Asia-Chic zwischen Drachenmotiv und Mao-Kragen zu tun hat. Die Entwürfe Alexander Wangs sind sogar so sehr von klassischer amerikanischer Sportswear geprägt, dass er das perfekte College-Kid abgäbe – wäre er je auf dem College gewesen. Wang, 27, wurde in San Francisco geboren. Als seine Eltern zurück nach Hongkong beziehungsweise Shanghai zogen, ging er mit 18 nach New York. Statt eine Modeschule zu besuchen, baute er lieber gleich in Rekordzeit eine Lifestyle-Marke auf. Model-Mädchen scheinen heute kaum noch etwas anderes zu tragen.

Jason Wus Ansatz ist sehr viel eleganter. Wu, 28, wurde in Taiwan geboren, zog mit seinen Eltern nach Kanada, ging dann nach New York, um an der Parsons School zu studieren, und blieb in der Stadt. Seine ersten Entwürfe fertigte er für einen Puppenhersteller, vielleicht sind seine Kleider deshalb so detailverliebt.

Derek Lam ist mit 45 Jahren der Älteste und Etablierteste in der Runde. Außer für sein eigenes Label arbeitet er seit ein paar Jahren als Kreativdirektor für das italienische Luxusunternehmen Tod’s. Vor allem Frauen, die sich hauptsächlich zwischen Business und Lunch bewegen, lieben seine schlichten Schnitte, gepaart mit sehr hochwertigen Materialien. Die moderne Version des Upperclass Chic einer Jackie Kennedy beherrscht keiner so gut wie er. »Wir sind ja alle in Amerika ausgebildet worden«, sagt Lam. »Die meisten sind wie ich in Kalifornien aufgewachsen. Da sind Asiaten in der Gesellschaft voll integriert, man verschmilzt automatisch mit der amerikanischen Kultur.«

Heute sorgen vor allem die jungen »Asian Americans« dafür, dass New York neben Paris oder London wieder als Modestadt wahrgenommen wird. Etliche haben bereits Stipendien oder Förderungen durch den CFDA erhalten, die Modekammer der USA, und Anna Wintour, die einflussreiche Chefin der US-Vogue, verschaffte fast jedem von
ihnen einen lukrativen Nebenjob, beim amerikanischen Modekonzern Gap oder einer anderen großen Textilkette. Im Fall von Thakoon Panichgul war ihre Nachwuchsförderung anschaulich in dem Dokumentarfilm The September Issue zu beobachten: Anna Wintour lädt Thakoon in ihr Büro ein und schaut sich seine Entwürfe an. Dafür bedankt sich der nette junge Mann artig und sagt tief beseelt in die Kamera, Anna sei wie Madonna.

An dieser Szene ließe sich vielleicht doch eine Gemeinsamkeit dieser Generation festmachen: Alle aus asiatischen Familien stammenden Designer treten extrem höflich, geradezu bescheiden auf. »Ein Klischee«, findet Thuy Linh Nguyen Tu, die Autorin des Buches The Beautiful Generation: Asian Americans and the Cultural Economy of Fashion, und doch gibt sie zu, dass die oft strenge Erziehung mit einem »ausgeprägten Respekt anderen gegenüber« einhergehe. Thakoon Panichgul glaubt, die asiatische Herkunft zeige sich in einem Sinn für Formalität und einer Abneigung gegenüber allem Vulgären. Enfants terribles wie der Franzose Jean Paul Gaultier oder der Brite John Galliano werden hier eher nicht geboren, und weder die Wangs und Lims noch ihre Entwürfe suchen den ganz großen Auftritt.

»Auch wenn sich die asiatischstämmigen Designer selbst eher nicht als homogene Gruppe betrachten – zumindest ein ausgeprägter Geschäftssinn verbindet die meisten von ihnen«, sagt die Buchautorin Tu. Hier zeige sich vielleicht doch das alte Muster der Elterngeneration, »es zu etwas bringen zu müssen«. Jason Wu erklärte kürzlich in einem Interview, das Wort »kommerziell« habe in der Mode zwar einen schlechten Ruf; wer aber kein Geschäft mache, könne am Ende auch nicht kreativ sein. Phillip Lim nennt sich »Geschäftsmann und Modemacher«. Die meisten von ihnen waren clever genug, ihre Linien von Anfang an unter dem Preisniveau von Marken wie Prada, Jil Sander oder Marc Jacobs zu positionieren. Ihre Kleider sollen tragbar sein – was ja auch nicht unamerikanisch ist, wenn man sich Modeveteranen wie Donna Karan oder Calvin Klein anschaut.

Der Erfolg im Westen macht sich für die asiatischstämmigen Designer allmählich doppelt bezahlt: Auf dem wachsenden Luxusmarkt in der Heimat ihrer Eltern werden die »Expats« erst recht gefeiert. Mit Stolz beobachtet man, dass mehr und mehr Asiaten eben nicht nur produzieren und kopieren, sondern mit eigenen Kreationen überzeugen. Wenn Thakoon in Thailand ist, überschlägt sich die heimische Presse; Phillip Lim zeigte zum fünften Geburtstag seines Labels vergangenes Jahr eine Modenschau in Peking, für die sämtliche chinesische Topmodels und Stars eingeflogen wurden. Die Wus, Wangs, Lims und Lams dürften respektable Vorbilder für die nächste Generation abgeben. Momentaner Anteil asiatischstämmiger Studenten an der New Yorker Modeschule Parsons: mehr als 40 Prozent.

Foto: AP