Das Auto, ein silbergrauer Nissan, stand mitten auf der kleinen Straße, kein Mittelstreifen, keine Bürgersteige, ein bisschen staubiger Asphalt zwischen einfachen Wohnhäusern, am Rande der Stadt Meoqui im Norden Mexikos. Die Fahrertür war offen, direkt neben dem Auto fand man ihre Leiche: Hermila García Baeza, 38, seit dem 9. Oktober Polizeichefin von Meoqui. Am Morgen des 29. November, zwanzig Minuten nach sieben, war sie auf dem Weg zur Arbeit von einer Gruppe bewaffneter Männer angehalten und zum Aussteigen gezwungen worden. Sie war ohne Leibwächter unterwegs. Die Killer erschossen sie aus nächster Nähe.
Die, die sie kannten, die, die mit ihr arbeiteten, sagten später, sie habe den Posten als Polizeichefin unbedingt gewollt. Sie sei sicher gewesen, etwas ändern zu können in dem Ort mit seinen 20 000 Einwohnern, vielleicht sogar eine neue Ära einzuleiten. Vielleicht hatte sie geglaubt, ein Symbol sein zu können: Seht her, eine Frau in dieser Position, hört auf mit den Schießereien, lasst uns reden. Die jüngsten Statistiken sagen, dass in den letzten vier Jahren über 30 000 Menschen im mexikanischen Drogenkrieg gestorben sind, fast jede Woche werden irgendwo im Land Gräber entdeckt, in denen die Ermordeten zu Dutzenden verscharrt sind. Händler gegen Polizisten. Soldaten gegen Händler. Und die Drogenbarone gegeneinander – im Norden Mexikos kämpfen die verschiedenen Kartelle um die Lieferwege Richtung USA. Zurzeit setzt die mexikanische Regierung 50 000 Soldaten im Kampf gegen die Drogenbanden ein, aber es ist ein Kampf, von dem niemand weiß, wie er jemals beendet werden soll.
Der Todesangst begegnete Hermila García Baeza, eine kräftige, entschlossen wirkende Frau mit langen schwarzen Haaren, mit demonstrativer Gelassenheit, sie soll gesagt haben: »Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu fürchten.« Aber den Drogen-
baronen des Bundesstaates Chihuahua ist es völlig egal, ob jemand etwas zu verbergen hat oder nicht; wer im Weg ist, wird getötet, simple, grausame Logik.
Hermila García Baeza war nicht die einzige Frau, die sich den lebensgefährlichen Job zutraute. Eine Woche nachdem sie ihren Dienst angetreten hatte, übernahm die erst 20 Jahre alte Marisol Valles das Kommando der Polizei in Práxedis G. Guerrero, einer kleinen Stadt nahe der Drogenmetropole Ciudad Juárez: Sie war die Einzige, die sich überhaupt beworben hatte, sie ist jetzt die jüngste Polizeichefin der Welt. Und in Guadalupe, ebenfalls Nordmexiko, leitet seit Kurzem die 28 Jahre alte Erika Gandara die Polizei, es heißt, alle ihre männlichen Vorgänger seien ermordet worden.
Die Bewohner des Macholandes Mexiko beobachten verblüfft, wie die Frauen die Dinge in die Hand nehmen. Polizeichef im Reich der Drogenbarone – es ist kaum ein Job vorstellbar, der exponierter und gefährlicher wäre. Vielleicht können ja Frauen mit der Angst besser umgehen. Vielleicht dachte Hermila García Baeza aber auch nur, einer Frau würden die Killer schon nichts tun. Der Bürgermeister von Meoqui sagt, sie habe nie Todesdrohungen erhalten. Hermila García Baeza war genau 53 Tage lang Polizeichefin von Meoqui, dann musste sie sterben. Am Tag darauf fand die Polizei wieder ein Massengrab. 18 Leichen.
Foto: Luis Hinojos/dpa