Bürgerträume

Wir stellen Ihnen jede Woche junge, talentierte Fotografen vor. Diesmal: Klaus Pichler, der der Nachkriegsgesellschaft den Hintern zeigt und sich derzeit in Wiener Schrebergärten umsieht.

Name: Klaus Pichler
Geboren: 1977 in Wien, aufgewachsen in der Steiermark
Ausbildung: Autodidakt
Homepage: www.kpic.at
Galerie: www.anzenberger.com
SZ-Magazin: Für ihre Fotoserie "Idyllen" haben Sie sich selbst nackt in Originalaufnahmen aus der Wirtschaftswunder-Zeit montiert. Woher stammen die Bilder?
Pichler: Während meines Zivildienstes habe ich mit Freigängern, also Häftlingen, die Ausgang bekommen, Räumungsarbeiten gemacht. Dabei habe ich einmal im Keller eines Hauses zwei Müllsäcke mit  dem kompletten Dia-Archiv einer Familie aus den 60er Jahren gefunden. Das konnte ich einfach nicht wegschmeißen. Die Aufnahmen gehören wohl einer Mittelstandsfamilie, die zu neuem Wohlstand gekommen ist. Es sind viele Bilder von Urlauben, Sonntagsausflügen und so weiter.

Wissen Sie, wer auf den Bildern zu sehen ist?
Nein, leider nicht. Ich habe versucht, die Familie ausfindig zu machen, aber es ist mir nicht gelungen. In dem Haus und der Umgebung konnte mir niemand sagen, wer das ist. Ich hätte gerne mit den Menschen oder ihren Nachkommen gesprochen, bevor ich die Bilder veröffentlicht habe.
Woher kommt der Drang, diesen Menschen den Hintern ins Gesicht strecken?
Ich hatte das Gefühl, dass man von den Gräueln der Nazi-Zeit absolut nichts merkt. Das sind Bilder aus den späten 50er, frühen 60er Jahren, also nur 15 Jahre nach Kriegsende. Aber auf den Bildern wirkt es so, als wäre nie etwas geschehen. Die Leute sind nach wie vor im Trachtenanzug unterwegs und zelebrieren die Volkskultur. Das hat einen totalen Verdrängungsbeigeschmack. Diese Bilder sind so geschlossen, für mich ist das verlogen. Das sind Leute die nach der Nazi-Zeit und der Besatzungszeit einfach Glück gehabt haben, und jetzt ein solides gutbürgerliches Leben führen. Das hat mich abgestoßen. Ich musste diese verlogene Idylle irgendwie brechen. Das richtige Stör-Element war für mich dabei die Nacktheit. Sie passt am allerwenigsten in diese biedere und prüde Zeit, mit ihren Moralvorstellungen.

Und dann haben sie mit einer Fotoserie über Schrebergärten begonnen. Wieso doch wieder in die kleinbürgerliche Enge?
Ich komme selber vom Land und aus einer Arbeiter- und Kleinbürgerfamilie. Irgendwie mag ich diese Welt und fühle mich als Teil von ihr, aber gleichzeitig lehne ich sie auch ab. Als ich angefangen habe zu studieren, war ich der erste in der Familie. Da musste ich mich gegen viele Widerstände behaupten. Das ist schon eine Herkunft, die prägt. Jetzt interessiert es mich, mich auf einer abstrakteren Ebene damit zu beschäftigen. Die Fotografie bietet da eine elegante Möglichkeit Kritik zu üben und trotzdem mit Respekt an die Sache heranzugehen. Mir ist es wichtig, nicht von einem überheblichen Standpunkt aus zu fotografieren, so quasi "Schaut’s euch die an, wie die Leben!“. Ich nehme diese Menschen ernst. Im Übrigen würde ich auch sofort einen Schrebergarten nehmen! (lacht)

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Sind die Menschen den glücklich in Ihren Gärten?
Das ist eine schizophrene Sache. Einerseits heißt es immer "Ach ja, das ist so schön hier, dieses viele Grün. Die Natur, das ist super!“. Aber dann wird immer gleich nachgeschoben: "Aber es ist so viel Arbeit!“ Diese Leute sind fast alle Getriebene.  Alles muss getrimmt und unter Kontrolle gehalten. Der Wachstum ist der Feind. Die Leute liegen in den seltensten Fällen im Garten und lassen die Sonne auf den Bauch scheinen. Die meisten arbeiten sehr hart. Deswegen sehen diese Gärten auch so aus wie Wohnzimmer. Wie Wohnzimmer, in denen ein Schrank steht, der wächst und den man zweimal im Jahr schneiden muss. Eine groteske Vorstellung. 

Fotos: Klaus Pichler