Name: Benjamin Kis
Geboren: 10.10.1986
Wohnort: München
Ausbildung: Fotodesign an der Hochschule München
Website: benjaminkis.com
SZ-Magazin: Sie sind 2015 zum ersten Mal nach Japan in die Nähe des Kernkraftwerks Fukushima-Daiichi gereist, um die verstrahlten Zonen zu fotografieren. Was hat Sie daran gereizt?
Benjamin Kis: Schon als Kind hat mich Japan interessiert. Die Kultur, die Mangas, die Samurai – die ganze Geschichte, die dieses Land umgibt. Über die Atomkatastrophe wurde 2011 viel berichtet, doch schnell flaute die Berichterstattung ab. Also wollte ich in das betroffene Gebiet und dokumentieren, wie es dort vier Jahre nach der Nuklearkatastrophe aussieht. Krisengebietsfotografie interessiert mich, denn sonst sehen nur Soldaten den Krieg. In Fukushima ist zwar kein Krieg, aber die verstrahlten Regionen sind normalerweise unzugänglich. Ich wollte das den Menschen zeigen, die es nicht selbst erlebet haben.
Die Regierung hat 2011 einen Evakuierungsbefehl ausgerufen. Die Menschen mussten die Gebiete verlassen.
Sie waren von einer auf die andere Sekunde weg. Wenn sie gerade etwas gegessen hatten, dann standen noch die Teller und halb vollen Wassergläser auf den Tischen. Wie in Geisterhäusern oder als ob die Zeit stehen geblieben ist. In den Regionen gab es auch noch Strom, die Straßenlaternen haben geleuchtet. Ich war in einem verlassenen Kindergarten, da hätte ich bestimmt auch das Licht anknipsen können. Aber ich habe es nicht ausprobiert.
Vier Jahre später haben Sie die gleichen Orte wieder besucht. Was hat sich verändert?
Die Gebiete sind je nach ihrer radioaktiven Strahlung in verschiedene Zonen aufgeteilt: grün, gelb und rot. Nicht betroffene Gebiete sind auf der Karte farblos gekennzeichnet. Bei meinem zweiten Besuch waren Regionen, die davor gelb eingestuft worden sind, mittlerweile farblos. Die Strahlung ist heute gleich stark wie die in meiner Wohnung in München. Dort dürfen Menschen wieder wohnen. Es gibt Hotels, Cafés und Wohnhäuser, richtige Neubausiedlungen. Die Ruinen, die ich davor gesehen habe, waren weg. Am meisten hat mich eine Stelle verblüfft, an der vorher ein kaputter Tempel stand, und genau da hat ein Hundefriseur eröffnet. Die Unterschiede sind gravierend, es hat sich richtig viel getan.
Was hat Sie außer dem Hundefriseur überrascht?
Dass sich die Pflanzen absolut nicht für die Strahlung interessieren. Dort gedeiht und wuchert alles weiter. Ich war im Herbst da, deswegen hatten manche Bäume braune Blätter. Aber die Khakibäume hingen voller orangener Früchte, als ob nichts gewesen wäre. Ich habe auch leere Felder gesehen, auf denen vorher ganze Dörfer standen, aber der Tsunami hat sie niedergemäht und nichts zurückgelassen.
Wie haben Sie die Orte ausgesucht, die Sie dokumentiert haben?
In Deutschland habe ich mit meiner Recherche begonnen. Über Google Maps habe ich nach Dörfern an der Küste geschaut, die besonders vom Tsunami betroffen waren. Ich habe die Adressen der Poststellen rausgesucht und sie in Japan in mein Navi eingegeben. Die gelbe und grüne Zone ist für alle frei zugänglich gewesen. Anders ist das bei der roten – Genehmigungen zu bekommen ist sehr schwer. Erst bei meinem zweiten Besuch 2019 habe ich welche bekommen, weil ein Kollege mir geholfen hat.
Was ist dort anders?
An jedem Zugang steht Wachpersonal, das aufpasst, dass keine Unbefugten das verseuchte Gebiet betreten. Um 16 Uhr werden alle Zugänge geschlossen. Es ist dort strenger, weil die Strahlung viel höher ist. Mein Geigerzähler, ein Gerät das Radioaktivität misst, hat die ganze Zeit geklickt, weil der Wert so hoch war. Ich hatte auch besondere Schutzkleidung an: Mundschutz, Handschuhe und Überzüge für meine Schuhe, wie man sie von Malerarbeitern kennt. Nur meinen rechten Handschuh habe ich manchmal ausgezogen, weil ich sonst nicht auf den Auslöser meiner Kamera hätte drücken können.