Getrübte Sicht

Wir stellen Ihnen jede Woche junge, talentierte Fotografen vor. Diesmal: Bryan Schutmaat, der die Einwohner der Schürfgemeinden im Westen der USA ablichtete.

Name: Bryan Schutmaat
Geboren: 1983 in Houston, Texas
Ausbildung: Master in Fotografie an der University of Hartford
Hompage: www.bryanschutmaat.com

SZ-Magazin: Herr Schutmaat, Sie sind in einem Vorort von Houston, der viertgrößten Stadt Amerikas, aufgewachsen. Muss man die Metropole erst satt haben, um sich nach dem Kleinstadtleben im Westen zu sehnen?
Bryan Schutmaat:
Das Leben in Houston fühlt sich an, als würde die ganze Welt eines Tages einfach überbetoniert werden – man kann die drohende Zerstörung beinahe spüren. Das flache, hässliche Bild der Stadt zieht sich endlos. Es gibt kein weites Land, keine Grünräume. Vielleicht übertreibe ich ja, aber Houston wirkt erstickend, einengend und das weckt die Sehnsucht nach grenzenlosem Raum mit Bergen, Bäumen und Flüssen. Der Westen kann dir das bieten, das fasziniert mich.

»Der Westen« steht nach wie vor für das wilde Amerika. Wo waren Sie unterwegs?
Anfangs habe ich in Montana gelebt, deswegen entstanden dort viele Aufnahmen. Später bin ich von einer Minenstadt zur anderen gereist durch die Bergregionen des Westens, Wyoming, Idaho und South Dakota, bis hin in den Südwesten über Nevada nach Colorado, New Mexico and Arizona.

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Der Titel Ihres Foto-Essays »Grays the Mountain Sends« ist ein Auszug aus einem Gedicht von Richard Hugo, in dem er die ökomische Krise des Nordwestens Mitte des 20. Jahrhunderts reflektierte.
Genau. Ich war auf der Suche nach Literatur, die sich auf die Region bezieht. Mir fiel Richard Hugo in die Hände, ein Mann, der den Großteil seines Lebens dort verbrachte und dessen Texte die Tristesse und Schönheit der Umgebung reflektieren. Als ich zum ersten Mal sein bekanntestes Gedicht über eine ausgebrannte Minenstadt las, ließ es mich nicht mehr los.

In diesen Versen schreibt er von verlassenen Hotels, von Kirchen als einzigen Hoffnungsgarant, von den schönen Mädchen, die gehen, und den Bars, die doch nicht die Langeweile vertreiben können. Entspricht das Ihrem Bild der westlichen USA?
Hugos Texte sind poetisch gefärbt von seiner Melancholie. Deshalb können sie das Leben der Menschen dort nicht verallgemeinernd abbilden. Auch meine Bilder nicht, obwohl sie nicht inszeniert sind. Die Verse beschreiben aber einige Städte exemplarisch: Orte, die die Boom-Zeiten lange hinter sich haben, geschlossene Hotels, die seit Zeiten keine Geschäftsmänner oder Touristen mehr beherbergen und Bars, die von jenen profitieren, die versuchen ihre Trostlosigkeit zu ertränken. Wenn die Menschen hoffnungslos werden, füllen sich die Kirchenbänke. Einige Städte schrumpfen, Arbeiter bleiben, die Frauen gehen. Hat deine Heimat dir nichts mehr zu bieten, dann fühlst du das »Grau der Berge« – Langeweile, Armut, dein gebrochenes Herz, Ausweglosigkeit. Wenn Hugo im Osten gelebt hätte, hätte er sicherlich auch »Grays the Factory Sends« verfasst.

Sind Ihre Aufnahmen deshalb absichtlich so grau?
Ich habe ohne Filter gearbeitet, wenn Sie das meinen. Ich fotografiere, wenn die Sonne noch tief steht am frühen Morgen oder an bewölkten Nachmittagen. Dieser Grauton ist charakteristisch für das Licht in den Bergen. Die Sonne senkt sich hinter das Gebirge bevor sie untergeht und dämpft das Licht.

Die Menschen auf Ihren Bildern waren Fremde. Haben sie Ihnen trotzdem von ihrem Leben erzählt?

Ich habe unglaubliche Geschichten gehört. Zum Beispiel vom alten Dave: Er ist der letzte noch Lebende seines Freundeskreises und glaubt, mit einem Minengeist zusammenzuwohnen. Jim hat einen Felssturz überlebt. Ein junger Mann glaubte, dass Satan ihn wegen seiner sexuellen Neigungen heimsuchen würde und wandte sich der Kirche zu. Jesse erzählte von schlaflosen Nächten, in denen er plötzlich wieder in Vietnam kämpfte. Und dann war da noch Scott, der seit zehn Jahren dem selben Berglöwen hinterherjagt. Am meisten bewegt hat mich aber Charly, den ein simpler Leitersturz um seinen Sohn gebracht hatte. »Einige Dinge vergisst du einfach nicht«, hat er immer wieder gesagt. Diese Erinnerungen kann man hinter meinen Porträts nur erahnen. Der Fotograf ist kein Geschichtenerzähler. Er deutet nur an, fängt den Moment ein. Die Vorstellungskraft des Betrachters bereitet den Rest.

Scheint, als hätten Ihnen die Menschen viel Vertrauen entgegengebracht?
Manchmal sprachen wir stundenlang, ich wurde zum Abendessen eingeladen, bekam Geschenke und wurde »Freund« genannt. An anderen Tagen schickten sie mich weg, schikanierten mich sogar.

Wenn man Ihre Fotos betrachtet, fragt man sich, wie denn der Einzelne diese Einsamkeit und Perspektivenlosigkeit erträgt?
Menschen im tiefen Westen überleben wie überall sonst: Sie arbeiten hart, bringen ihr Geld zur Bank und ab und an haben sie Momente seltenen Glücks und die wissen sie zu schätzen. Das ist ihr Alltag. Meine Bilder sind vielleicht traurig, aber so geht es eben auf der Welt zu.

Fotos: Bryan Schutmaat