Liebe, grenzenlos

Fotografie hat im SZ-Magazin schon immer eine herausragende Stellung eingenommen. Daher stellen wir Ihnen hier junge, talentierte Fotografen vor. Diesmal: Christian Kuhn und seine sehr persönlichen Bilder über männliche Sexualität jenseits klassischer Rollenbilder.


    Name:
    Christian Kuhn
    Geboren: 1982
    Ausbildung: Fachhochschule Dortmund
    Webseite:
    www.christiankuhnphotography.de
    www.myspace.de/christiankuhnphotography

    Mit Ihren Bildern erkunden Sie die Sexualität von schwulen Männern, Crossdressern und Transgendern – ein sehr heikles, weil intimes Thema. War es schwierig, Models für diese Serie zu finden?
    Christian Kuhn:
    Erstaunlicherweise nicht. Es war viel einfacher, als ich dachte. Ich hatte sogar so viele Anfragen, dass ich gar nicht alle bearbeiten konnte. Vielleicht liegt das daran, dass Menschen, die sich selber gerne inszenieren, die ihre Sexualität nach außen tragen, einfach generell sehr offen sind. Ich habe hauptsächlich über das Internet-Netzwerk MySpace Leute gesucht, mich dann mit ihnen getroffen und oft vier, fünf Stunden einfach nur mit ihnen geredet. Anders geht so etwas auch gar nicht: man muss die Menschen und ihre Freunde kennenlernen, mit ihnen weggehen und herausfinden, was sie so tun.

    Sie haben über Ihre Arbeit geschrieben, dass Sie sich von einer reinen Dokumentation in ein sehr persönliches Projekt verwandelt hat. Was heißt das?
    Ich habe diesen vielen verschiedenen Leuten so viele Fragen über ihre Sexualität gestellt; irgendwann fingen Sie an, den Spieß einfach umzudrehen. Sie fragten mich "Hey, wie ist es bei dir?", und so wurde die Arbeit am Ende auch eine Entdeckung meiner eigenen Sexualität. Dann hatte ich dieses Jahr mein eigenes Coming-out vor meiner Familie. Mein Partner ist nun ebenfalls in dieser Arbeit zu sehen – allerdings unklar, diffus. Er symbolisiert meine eigene Sexualität. Diese sehr intimen Aufnahmen, zum Beispiel in der Dusche, sind ganz spontan entstanden, in diesem speziellen Fall im Urlaub in Madrid. Manchmal saß er morgens nach dem Aufwachen auf dem Bett und ich dachte nur "Bleib so!".

    Ihre Bilder wirken teilweise sehr melancholisch. Warum?

    Die Personen habe ich so abgebildet, wie ich sie persönlich sehe, wie ich sie erlebt habe. Ich habe absichtlich darauf verzichtet, sie plakativ und werbewirksam darzustellen, so wie die stereotypen "glücklichen Homosexuellen" in den Massenmedien. Deswegen wirken einige Bilder vielleicht sehr traurig. Das Leben ist für die Menschen in meinen Bildern eben kein Zuckerschlecken. Sie alle hatten schon mit Homophobie zu kämpfen, mit Vorurteilen. Deswegen laufen sie auch nicht den ganzen Tag grinsend, dauer-happy und total aufgedreht durch die Gegend – so wie es im Fernsehen oft dargestellt wird. Im Prinzip aber sind alle Protagonisten nur Hüllen, das weiß ich. Jeder Betrachter muss sie selber mit Bedeutung füllen.

    Meistgelesen diese Woche:

    Die Diplomarbeit von Christian Kuhn wurde betreut durch Prof. Susanne Brügger und Kai Jünemann.

    Interview: Sebastian Schöbel