"Menschen lenken ab"

Normal 0 21 Name: Christoph Morlinghaus
Jahrgang: 1970
Ausbildung: Fotografie-Studium an der Fachhochschule Dortmund
Kontakt: http://www.morlinghaus.com/  

Normal 0 21 SZ-Magazin: Herr Morlinghaus, Kirchen gehören zu Ihren bevorzugten Motiven. Sind Sie religiös?
Christoph Morlinghaus:
Im Gegenteil. Ich bin überzeugter Nihilist. Was mich jedoch an Kirchen fasziniert, ist die unglaubliche Spiritualität, die diese ausstrahlen - und der man sich gar nicht entziehen kann, ob man nun gläubig ist oder nicht. Überraschenderweise findet man Spiritualität nicht nur in Kirchen, sondern auch in weltlichen Gebäuden wie Flughäfen. Als ich das erste Mal das Trans-World-Airlines-Terminal am New Yorker John-F.-Kennedy-Flughafen sah, hatte ich unmittelbar den Eindruck, in einer Kathedrale zu sein. Später erfuhr ich dann, dass der Vater des Architekten Eero Saarinen, Eliel Saarinen, Kirchen baute, was den Sohn in seiner Arbeit maßgeblich beeinflusste. Ihre Motive sind Orte, an denen sich normalerweise große Menschenmengen aufhalten - warum fotografieren Sie diese Plätze gerade dann, wenn sie komplett ausgestorben sind?
Mir gefällt der Eindruck von Verlassenheit, der dadurch zustande kommt. Außerdem werden so noch viel mehr die Strukturen hervorgehoben, deren Ästhetik oft gar nicht richtig wahrgenommen wird, wenn Menschen mit im Bild sind. Schauen Sie sich einmal die von mir fotografierten Gepäckbänder an. Ihre Formschönheit sehen Sie nur, weil Ihr Auge nicht abgelenkt ist. Gleiches gilt für Achterbahnen, Rolltreppen, Fließbänder für den Passagiertransport und für jegliche Art von Gebäude im Allgemeinen.

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Sind Sie ein Freund der digitalen Fotografie?
Ganz und gar nicht. Ich sehe mich als Fotograf der alten Schule. Bei meiner Arbeit verzichte ich auf einen Computer. Meine Fotos mache ich noch mit einer klassischen 8x10-Kamera, retuschiert wird also überhaupt nicht. An der digitalen Fotografie stört mich, dass man nie weiß, was wahr ist und was der Computer dazu "erfunden" hat. Dabei ist das Echte doch schon toll genug. Die innewohnende Poesie von dem, was wirklich ist, effektvoll und doch nicht zu künstlich abzubilden, das macht für mich die wahre Kunst der Fotografie aus.