Name: Agata Szymanska-Medina
Geboren: 15. August 1981 in Lwówek Śląski, Polen
Wohnort: Berlin
Ausbildung: Fotojournalismus und Dokumentarfotografie an der Hochschule Hannover
Webseite: www.agataphotography.com/
Projekt: Seit 2017 porträtiert Agata Szymanska-Medina junge Polen und Polinnen aus dem rechten Milieu zwischen 17 und 25 Jahren – darunter vor allem junge Frauen aus der Mittelschicht. Das Projekt ist fortlaufend.
SZ-Magazin: Wie haben Sie die jungen Frauen gefunden, die Sie porträtiert haben?
Agata Szymanska-Medina: Es war nicht einfach, denn Journalisten sind im rechten Milieu nicht gerne gesehen. Ich habe sehr viel in rechten Online-Foren und Facebook-Gruppen gelesen und anhand von Posts und Fotos herausgefunden, welche Frauen besonders aktiv sind und mit wem sie sich vernetzt haben. Ungefähr 50 von ihnen habe ich private Nachrichten geschrieben, dass ich Fotografin bin und für eine Ausstellung junge polnische Frauen porträtieren möchte, die politisch aktiv sind. Die meisten haben nicht reagiert, nur fünf bis zehn haben sich zurückgemeldet.
Wie viel Zeit haben Sie mit ihnen verbracht?
Das war unterschiedlich. Einige wollten sich nicht fotografieren lassen, sondern sich nur auf einen Kaffee treffen. Mit anderen habe ich ein oder zwei Tage verbracht, war bei ihnen Zuhause, habe ihre Eltern kennengelernt und sie im Alltag begleitet, zum Beispiel zu Demos und zur Schule.
Sie selbst haben politisch eine ganz andere Einstellung. Wie schwer ist es Ihnen gefallen, den Frauen gegenüber neutral zu bleiben?
Natürlich bin ich nicht objektiv, aber ich habe versucht, mich zurückzuziehen und nicht mit dem Zeigefinger auf diese Menschen zu zeigen. Ich habe deswegen allerdings auch Bedenken: Ich möchte Menschen, die eine rechte Ideologie haben, eigentlich keine Plattform bieten, und befürchte, dass mir später vorgeworfen wird, dass ich die Frauen »zu schön« und zu unkritisch präsentiert habe. Aber wie kann man sich sonst mit so einem Phänomen auseinandersetzen? Und ich möchte auch, dass sich die Betrachter ihr eigenes Urteil bilden können.
Wie haben die Frauen vor Ihnen ihre rechte Ideologie begründet?
Ein gutes Beispiel ist Maria, die junge Frau, die auf dem Foto das blaue Polohemd mit der Ameise trägt. Maria ist heute Mitte 20, kommt aus einem gut situierten Zuhause und hat studiert. Sie sagt, dass sie sich schon immer für Geschichte interessiert hat und sich politisch engagieren wollte, aber in ihrer Umgebung herrschte oft politisches Desinteresse. Die Haltung »Es ändert ja doch nicht« ist eine typische Nachwirkung des Kommunismus, die auch in meiner Generation noch sehr stark zu spüren war. Die Rechten besetzen jetzt diese Lücke, sie vermitteln den Jüngeren ein Gefühl von Gemeinschaft und Engagement. Mit 16 ist Maria der ONR beigetreten, einer faschistische Organisation, weil sie dachte: »Wow, die machen was für unsere Heimat und das ist doch wichtig!« Sie hat eine Ortsgruppe geleitet und ist bei Demos mit Fackeln, Fahnen und Springerstiefeln durch die Straßen marschiert.
Ist sie heute immer noch in der ONR?
Nein. Sie fand es zwar gut, dass sich die Gruppe gegen die angebliche Invasion von Muslimen und Flüchtlingen wehren will, aber dabei geht diese auch sehr aggressiv vor: Sie pöbeln bei Demos, grölen antisemitische und xenophobe Parolen und greifen Gegendemonstranten an. Maria ist eine denkende Frau, sie liest viel und wirkt eigentlich sehr sanft: Sie spricht leise und sieht manchmal zerbrechlich aus, sie beschäftigt sich mit Umweltschutz und pflanzt ehrenamtlich Bäume. Darum hat sie sich mit dem Vorgehen der ONR irgendwann nicht mehr identifiziert.
Aber sie ist nicht aus dem rechten Milieu ausgestiegen?
Nein, weil sie gleichzeitig die Ideologie der ONR nicht radikal genug fand. Die hat dann eine eigene Gruppen namens »Polnische Arbeit« gegründet. Mit der will sie das System »von unten« ändern – wie die Ameisen, darum auch das Logo auf ihrem Polohemd.
Was bedeutet das?
Die Mitglieder von »Polnische Arbeit« geben zum Beispiel kostenlose Nachhilfe für Kinder, die aus Brennpunkten oder einkommensschwachen Familien kommen und ich gehe davon aus, dass sie mit ihnen dann natürlich auch über ihre Ideologie sprechen. So können sie Nachwuchs rekrutieren. Denn diese Kinder haben oft keine Vorbilder und Menschen wie Maria können diese Rolle für sie einnehmen.
Wie setzen Sie die Frauen in Szene, wenn Sie sie fotografieren?
Man kann fotografisch aus jedem Menschen ein Monster machen, aber das erzählt gar nichts, sondern bestätigt nur bestimmte Klischees – und das, was ich in Polen beobachte, ist eben nicht mein Klischee. Darum habe ich den Frauen beim Shooting zum einen viel Freiraum gegeben, sodass sie sich selbst inszenieren konnten. Vielleicht ist die Maria auf dem Foto nicht die echte Maria – aber so möchte sie gesehen werden. Zum anderen habe ich versucht, mit meinen Bildern zu zeigen, dass diese Frauen unter uns sind. Dass es unsere Nachbarinnen sein können oder unsere Cousinen. Dass sie unscheinbar sind und gerade darum so unberechenbar.
Sie haben nicht nur Menschen, sondern auch Häuser und Denkmäler fotografiert. Sind das die Orte, an denen diese Frauen leben?
Nicht immer. Bei diesen Bildern ging es mir eher um die Symbolik. Seit PiS an der Regierung ist, wird in Polen ein nationalistischer Mythos aufgebaut: Die Polen werden zu Märtyrern erklärt, die unter den Deutschen und Russen gelitten und sich immer tapfer verteidigt hätten. Seit einigen Jahren entstehen darum auch neue Denkmäler, zum Beispiel zu Ehren der sogenannten »Verstoßenen Soldaten«. Das waren Nationalisten, die im Zweiten Weltkrieg im Untergrund agierten und anschließend gegen den Kommunismus gekämpft haben. Obwohl sie sehr umstritten sind und auch unschuldige Zivilsten getötet haben sollen, werden sie heute zu Helden stilisiert, die sich für das Heimatland geopfert haben. Mittlerweile tragen viele junge Leute T-Shirts mit diesen Soldaten drauf, das ist total in Mode.
Beobachten Sie in Deutschland ähnliche Entwicklungen wie in Polen?
Ich sehe da schon Parallelen. Ich glaube, dass es auch unter deutschen Jugendlichen eine Tendenz zur Radikalisierung gibt. Die Digitalisierung bewirkt, dass viele sich verloren fühlen, weil man einerseits mit allen verbunden ist, aber auf der anderen Seite niemanden mehr wirklich trifft. Es gibt weniger subkulturelle Gruppen als früher – und wenn dann radikale Gruppen ein Angebot machen, schließen sich junge Leute ihnen eher an. Egal, wofür sie kämpfen.