Manche Menschen kräuseln die Nase, wenn nur das Wort Altenheim fällt. Dann hagelt es Vorurteile: die PflegerInnen seien heillos überlastet und deswegen unfreundlich. Zu essen gebe es nur ungesalzenen Brei in den Farben grün (pürierte Erbsen), gelb (pürierte Kartoffeln) oder orange (pürierte Karotten). Und es stinke in den Fluren und Zimmern.
Wenn ich diese Klischees höre, ärgere ich mich – auch wenn ich zugeben muss, dass das mit dem etwas unangenehmen Geruch in manchen Fällen stimmt. Es gibt Altenheime, in denen ein süßlicher Duft hängt, der sich aus Waschmittel und uringetränkten Windeln zusammensetzt. Aber all die Vorurteile ignorieren eine entscheidende Tatsache: dass die Menschen, die in den Altenheimen arbeiten, wirklich jeden Tag ihr Bestes geben wollen.
Ich habe das erlebt, weil ich die Pflege meines an Alzheimer erkrankten Mannes nach einem Problem mit meinem Herzen nicht mehr alleine schaffen konnte. Er musste im Altenheim leben, es gab keine andere Möglichkeit. Sofort spürte ich, wie es mir körperlich wieder besser ging. Ich musste meinen Mann nicht mehr helfen, sich aus dem Sessel hochzustemmen, ihn waschen oder stützen. Das alles erledigten nun Fachkräfte, die die richtigen Handgriffe gelernt hatten und die auch medizinische Notfallsituationen viel besser einschätzen konnten, das war mir das Wichtigste. Mein Mann Ulli hatte oft Probleme zu atmen. Als er noch zuhause lebte, saß ich manchmal neben ihm und überlegte, ob ich einen Krankenwagen rufen müsse oder ob alles gut bliebe. Diese Verantwortung nicht mehr zu spüren, zu wissen, dass jetzt erfahrene Personen einen Blick auf ihn hatten, war so beruhigend.
Entsprechend dankbar war ich den AltenpflegerInnen in dem Altenheim. Ich verbrachte viel Zeit dort, weil ich Ulli jeden Tag so lange wie möglich sehen wollte. Ich lief nach dem Aufstehen ins Altenheim und setzte mich zu ihm ins Zimmer. Dann half ich ihm beim Essen (übrigens: kein Brei, sondern lecker gewürzter Gemüseauflauf, Sonntagsbraten oder Fisch). Manchmal ging ich erst abends nach Hause in meine Wohnung.
Entsprechend gut lernte ich auch die Pflegekräfte kennen. Ich habe so viel Respekt vor ihnen. In dem Altenheim, in dem mein Mann lebte, arbeiteten viele Frauen, die für den Job aus Osteuropa nach Deutschland gezogen waren. Wenn ich sah, wie liebevoll sie beim Mittagessen mit den Senioren sprachen, sich neben sie setzten und ihre Hand hielten, machte mich das sehr glücklich. Aber gleichzeitig fragte ich mich, wie diese Frauen es schaffen, nicht an dem fürchterlichen System zu zerbrechen.
Denn Pflegekräfte sind in Deutschland wahnsinnig überlastet. In den Altenheimen und Krankenhäusern gibt es viel zu wenige von ihnen, sie haben nie Zeit, für nichts, müssen immer funktionieren, alle Handgriffe in einer viel zu kurzen Zeit erledigen und ihre Arbeit genau dokumentieren, was noch viel mehr Zeit schluckt. Gleichzeitig wissen sie, wie sehr sich die älteren Menschen über mehr Aufmerksamkeit freuen würden, manchmal sogar, dass sie diese sogar brauchen, weil sie sonst vereinsamen.
Natürlich lief auch im Altenheim, in dem mein Mann lebte, mal etwas schief. Seine Klamotten landeten nach dem Waschen gelegentlich bei einem anderen Bewohner. Zwei Mal büchste mein Mann sogar aus. Eine Freundin von mir entdeckte ihn an der Straße vor dem Altenheim, er erzählte ihr, er ginge jetzt nach Hause zu mir. Ein anderes Mal lief er nachts aus seinem Zimmer und fand es danach nicht wieder. Stattdessen entdeckte ihn die Altenpflegerin, die die Nachtschicht hatte, im Zimmer einer älteren Frau. Wobei die Geschichte eigentlich ganz süß ist: die Frau hatte ihn bei sich aufgenommen und ihm im Bett einfach etwas Platz gemacht, sodass die beiden aneinandergekuschelt dalagen.
Aber wie sollte man den Pflegekräften solche Vorfälle überhaupt verübeln? Wie hätten sie es schaffen sollen, bei all dem Zeitdruck so genau auf meinen Mann zu schauen? Er war auf einer offenen Station, wenn er da im Flur auf und ab lief, passierte es nun mal schnell, dass er auch einmal durch eine andere Tür spazierte. Es ist doch nicht die Schuld der Pflegekräfte, dass sie nicht minütlich sein Schlendern überwachen können.
Aber ich ärgere mich über das fürchterliche Pflegesystem. Wie kann es sein, dass die schlimme Arbeitssituation der PflegerInnen so wenig Beachtung erfährt? Wie es ihnen geht, sollte alle interessieren. Jeder Mensch wird einmal alt sein. Und in den allermeisten Fällen dann auf Pflege angewiesen sein.
Ich bin ein politischer Mensch, war in meinem Leben aber selten auf Demonstrationen. Gäbe es eine Demonstration für bessere Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte, würde ich aber sofort in den Flur laufen, meinen Mantel anziehen und in meine Schuhe schlüpfen.