Das letzte Hemd

Sportswear ist allgegenwärtig, nur in einem Spitzensport nicht: beim Darts. Die Teilnehmer der gerade zu Ende gegangenen WM trugen ulkig bunt bedruckte Polohemden. Unsere Modekolumnistin hält das für einen gewaltigen Vorteil.

Inmitten trübseliger Jahreswechselstimmung zwischen Dinner for One und Schweiger-Tatort gab es in den vergangenen Wochen auch einen Fernsehprogrammpunkt, der die Massen ganz unverhofft begeisterte: Die Darts-WM hatte Spitzenwerte von fast zwei Millionen TV-Zuschauern beim Finale. Der Sport ist offenbar im Mainstream angekommen.

Das Einzige, was nicht den Weg in die Professionalisierung gefunden hat, ist das Outfit der Dartsspieler. Beim Showdown im pompösen Ballsaal des Londoner Alexandra Palace traten die besten Spieler der Welt in unförmigen Polyester-Polos in ulkigen Farb- und Printkombis auf, vollgekleistert mit den Sponsorenlogos internationaler Tabak-, Spirituosen- oder Wettanbieter und dem eigenen übermütigen Kampfnamen (»The Power«, »The Machine«, »The Rock« etc.). Während Weltmeister Gary Anderson am Sonntag seinen Kontrahenten Adrian Lewis besiegte, trug er ein einarmig kariertes Kunstfaser-Hemd, das eher nach dem Trostpreis der letzten Dorffest-Tombola als nach als 300.000 Pfund Preisgeld aussah, der Schotte Peter Wright wirft seine Pfeile regelmäßig im psychedelischen Regenbogen-Komplettlook ab.

Warum lässt sich bei einem Sport, bei dem inzwischen alles abseits der 2,37 Wurfdistanz durchvermarkt ist, von der Einlaufmusik bis zu den Schärpen der »Walk on girls« (sozusagen den Boxenludern des Darts), kein Bekleidungshersteller finden, der mal ein halbwegs ansehnliches oder zumindest funktionelles Trikot entwirft? Und das in Zeiten, wo Sportswear doch das Lieblingsthema aller großen Luxusdesigner von Alexander Wang bis Karl Lagerfeld ist?

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Eine Erklärung könnte sein: Darts ist ein Arbeitersport. Talente werden, anders als bei den anderen Sportarten mit Polohemd-Kluft, nicht im kostspieligen Tennisinternat oder auf der gräflichen Golfakademie entdeckt und trainiert, sondern in der Kneipe. Und sie stammen größtenteils aus einfachen Verhältnissen – der 16-fache Weltmeister Phil Taylor arbeitete einst in einer Keramik-Fabrik für Toilettenpapier-Halterungen, Gary Anderson war Bauarbeiter. Von den heutigen Darts-Helden dürfte sich kaum einer vor seiner Profi-Zeit für ägyptische Baumwolle, italienische Schnitte oder eine modische Gesamterscheinung geschert haben. Mit ihren sonderlichen Hemden, Marke: »Karneval trifft Rentnerreise trifft Reklametafel« beweisen die Dartsprofis Herkunftsbewusstsein und demonstrieren gleichzeitig die Nähe zu ihren Fans – denn die laufen zum Darts-Turnier gern als Comicfigur, Ketchupflasche oder Teletubby verkleidet auf.

Modisch gesehen ist Darts damit so etwas wie die letzte Gegenbewegung zum allumfassenden Athleisure-Trend, der schrittzählende Turnschuhe, Designer-Sportswear und joggende Buggy-Mummys hervorgebracht hat. Eigentlich doch ganz erfreulich, dass die rundlichen Dartsspieler-Körper nicht in aerodynamischen Bodysuits stecken.

Wird außerdem getragen von: Tankstellenwärtern, Fast-Food-Verkäufern
Trageanlass:
Bingo-Abend in Lloret de Mar
Sollte sich mal am Redesign üben:
Jeremy Scott

Foto: dpa