Wirklich beschleunigte Zeiten, in denen wir leben, jetzt wächst sogar das Gras schneller über die Sachen. Jedenfalls ging es fix mit diesem Comeback. Gestern lief Johnny Depp schon wieder topgelaunt über den roten Teppich in Cannes, wo sein neuer Film »Jeanne du Barry« nicht etwa im Giftschrank landete, sondern gleich mal das Festival eröffnete. Natürlich gucken sie hier alle nur auf den Schauspieler Johnny Depp, »ganz ohne Vorurteile«, wie der diesjährige Jury-Präsident Ruben Östlund sagte. Ist klar. In diesem Fall wären es allerdings genau genommen Nachurteile, denn, wir erinnern uns, der 59-Jährige ist ja letzten Sommer tatsächlich als Sieger aus dem Verleumdungs-Prozess gegen seine Ex-Frau Amber Heard hervorgegangen. Auch wenn man sich bei dieser Schlammschlacht (herausgerissene Haare, Fäkalien im Bett, schlimme Nachrichten) eigentlich sicher war, dass es hier nur Verlierer gab, die eine herausragende Performance in Sachen Selbst-Demontage hingelegt hatten.
Aber so kann man sich irren. Während Amber Heard weitgehend abgetaucht ist und mittlerweile in Spanien leben soll, wird dem Schauspieler der ganz große Reha-Teppich zurück in den Schoß der Filmgemeinschaft ausgerollt. Soll noch mal jemand sagen, wir lebten in Zeiten von Cancel Culture. So ein Schmarrn. Wer will, kriegt jederzeit eine zweite Chance, erst recht, wenn er mal hammermäßige Wangenknochen in »21 Jump Street« hatte und seit seinen Piratenkomödien einen wertvollen Beitrag zum gleichberechtigten Verbrauch von Kajalstiften leistet.
Kurz zuvor hatte Variety außerdem gemeldet, dass Depps Parfum-Vertrag für Dior Sauvage offensichtlich mit einer Rekordgage verlängert wurde. 20 Millionen Dollar für drei Jahre. Brat Pitt dagegen strich 2012 für Chanel No.5 nur etwa 7 Millionen ein. Krasser Actor-Pay-Gap. Warum ist Pitt eigentlich nie gegen seine Ex-Frau Angelina Jolie vor Gericht gezogen?
Natürlich gucken wir auch hier einzig und allein auf die Qualitäten des Beautybotschafters Johnny Depp, ganz ohne Vor- oder Nachurteile, und da wundert diese Beförderung doch. Als er 2015 das erste Mal als Gesicht des Dufts engagiert wurde, surfte er noch voll auf der Karibik-Welle und verkörperte im Werbefilm sehr authentisch den einzelgängerischen Rockstar, der plötzlich (von der Straße) ausschert, um seinen Schmuck in der Wüste zu vergraben (totaler Unsinn, aber schön gefilmt). Doch sah er, sieben Jahre und offensichtlich viele Rotweinbecher später, nicht arg aufgedunsen und ungepflegt aus im Gerichtssaal? Die Haut großporig, die Haare leicht fettig, wo die Beautybranche immer noch eher auf Saubermänner wie Timothée Chalamet oder Chris Pine setzt. Dann war da noch dieses wenig schmeichelhafte Foto, wie Depp mit Eiscreme im Schritt sternhagelvoll auf dem Sofa liegt. Denkt seitdem noch irgendwer, wenn er Johnny Depp sieht, dass der Typ bestimmt irre gut riecht?
Wobei schon der Name des betreffenden Parfums nicht ganz unproblematisch ist: Sauvage. Zu deutsch »wild«, »ungezähmt«. Geschmäckle, anyone? Irgendwie scheint dieses Adjektiv ein bisschen zu gut zu den besonderen Vorkommnissen des letzten Jahres zu passen. Dior, beziehungsweise der Mutterkonzern LVMH, reagiert sonst eigentlich nicht zimperlich, wenn es um mögliches Fehlverhalten ihrer Mitarbeiter geht. Man erinnere sich nur, wie schnell damals John Galliano als Chefdesigner weg vom Fenster war. Wobei die Beweislage für dessen antisemitische Beleidigungen im Alkoholsuff eindeutig geklärt war.
Der Grund für all das: Nicht nur »Sex sells«, schlechtes Benehmen offensichtlich auch. Schon während des Gerichtsprozesses stiegen die Verkaufzahlen von Sauvage. Man könnte jetzt argumentieren, dass es eben keine schlechte Aufmerksamkeit gibt. Aber das stimmt nicht ganz, siehe der wie Blei in den Regalen liegende Yeezy-Schuh von Kanye West für Adidas. Ganz offensichtlich wird bei Depp das eventuelle Bad-Boy-Image dagegen als irgendwie sexy, rockig und maskulin wahrgenommen, womöglich auch als Duft der grenzenlosen Freiheit. Stinkt irgendwie zum Himmel.
Typischer Instagram-Kommentar: »Dufter Typ«
Das sagt der Dior-Trainee: »Sollen wir ihm nicht gleich noch einen Beauty-Vertrag geben?«
Passender Song: »How to fragrance« (Jeremy Fragrance)