Das Beste aus aller Welt

Der Steuerhinterzieher kann sich heute selbst anzeigen - warum geht das nicht auch bei anderen Alltagssünden? Unser Autor hat sich sogar ein Gerät ausgedacht, in das er gerne alles hineinbellen würde, was er zu beichten hat.

Das Verhältnis des modernen Menschen zum Staat offenbart sich im Begriff des »Steuersünders«. Wie sich – in christlicher Sicht – der Mensch durch die Sünde von Gott abwandte, so hat sich der Steuersünder von der Gemeinschaft geschieden; er wird dafür mit Gerichtsprozessen, Bewährungsstrafen, Inhaftierung sowie haushohen Schlagzeilen und lang anhaltenden Scheißestürmen bestraft. Jedoch: Wie dem Christen der Weg der Beichte freisteht, so gibt es für den Steuersünder die Selbstanzeige. Er offenbart sich den Behörden, welche ihm Vergebung gewähren können, natürlich nur im Falle der Zahlung aller in Rede stehenden Summen.

Nun hören wir allenthalben, es gebe derzeit eine wahre Flut von Selbstanzeigen: Einen Steuersünder nach dem anderen dränge es zum Bekenntnis seiner Verfehlungen, nach etlichen bekannten Großfällen möchten auch gewöhnliche Hinterzieher ihre Taten offenbaren. Man muss den Staat beglückwünschen zu diesem Erfolg, kommt er doch gleich zwei seiner Zentralaufgaben nach: Einerseits gelingt es ihm, die Fehlerhaften unter uns zu bekehren und wieder einzugliedern in die Reihen der moralisch (und vor allem vom Abgabenzahlungsverhalten her) stets vollkommen einwandfreien Mehrheit, deren Angehörige lachenden Herzens an ihren Steuererklärungen arbeiten.

Andererseits schafft er auf diesem Wege auch wieder jenes frische Geld in seine Kassen, das dort so dringend benötigt wird: Der Staat muss ja nicht nur Kindergärten und Straßen bauen, es obliegt ihm auch die Aufgabe der Errichtung neuer Flughäfen und Elbphilharmonien, er hat immer wieder weltweit Banken aller Art zu retten und muss für die Geburtstagsfeiern seiner Landräte am Tegernsee aufkommen; schließlich kostet es allerhand, den Unverständigen unter uns geduldig immer wieder mit allerhand Kampagnen seine Rentenpolitik zu erklären.

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Wenn das aber so ist: Warum beschränken wir die Selbstanzeige auf das Steuerrecht? Warum verschaffen wir nicht auch Bußfertigen in anderen Bereichen die Gelegenheit, ihre Sünden zu erklären? Warum verwehren wir diesen Menschen die Möglichkeit, ihrem Egoismus und ihrer Fehlerhaftigkeit abzuschwören und den Pfad der Tugend zu gehen? Der Falschparker, der nicht ertappt wurde, der Veganer, der eine Ledertasche begehrte, der Haushaltsvorstand, der Altpapier in die Restmülltonne warf, der Hausbesitzer, der nicht auf eine für die Energiewende notwendige Stromtrasse starren will, der politisch Korrekte, der heimlich das Dschungelcamp sah – wohin können sie sich wenden? Wo dürfen sie sich bekennen? Wer erleichtert sie von ihren Seelenqualen? Gäbe es eine Behörde, die Selbstanzeigen dieser Art entgegennähme und prüfte, »die Menschen« (Angela Merkel) wären doch dankbar!

Übrigens gibt es ja für den sich selbst Tag für Tag optimierenden Bürger der Wirtschaftsgesellschaft mittlerweile Armbänder, die kontinuierlich die Fitness prüfen, die Zahl seiner Schritte messen und ihn mahnen, sobald er nachlässt im Kampf um seinen Gesundheitszustand. Also wäre es doch denkbar, jeden von uns mit einer Art Moral-Uhr auszurüsten, in die man jederzeit seine Selbstanzeige hineinsprechen könnte: Habe gerade die Geschwindigkeit überschritten; besitze im Keller ein Reservoir von 60-Watt-Glühbirnen alter Art; habe in meinem Arbeitszimmer private Gedanken gehabt; bin immer noch ADAC-Mitglied …

Und ab einem bestimmten Sündenpegel wird die Nationalhymne gespielt, um uns an die gesamtstaatliche Verantwortung zu erinnern. Zeigt die Uhr Rot, werden automatisch zwanzig Euro vom Konto abgebucht, für den Hilfsfonds bei überraschenden Kostenexplosionen öffentlicher Neubauten zum Beispiel. Oder der Fernseher zeigt an diesem Abend nur ein loderndes Fegefeuer. Und am nächsten Morgen muss man vor dem Tugend-Rat der jeweiligen Gemeinde Selbstkritik halten.

Ja, wir sind alle kleine Sünderlein.

Aber nimmer lang, nimmer lang. Bald ist Schluss damit, Leute!

Illustration: Dirk Schmidt