Wie soll man dieses Angeödetsein von etwas beschreiben, was einen immer interessiert, gepackt, mitgenommen hat? Fußball also, da ist nun dieses Champions-League-Finale, große Sache eigentlich, Real gegen Juventus, Khedira, Kroos, Ronaldo, der im vergangenen Jahr, wie es heißt, 32 Millionen Dollar allein mit Werbung verdiente, ach ja … Auf einmal ist da dieses Empfinden: Was soll’s?
Dann kommt der Confed Cup in Russland, tja. In Sotschi gab es 2014 Winterspiele, bei denen der örtliche Geheimdienst Doping generalstabsmäßig organisierte, die russische Sportführung hängt ständig in seltsamen Machenschaften drin, immerzu wird alles geleugnet. 2018 kommt die WM in Russland, 2022 die in Katar, was geht’s eigentlich mich an? Wie viele Artikel über die widerwärtigsten Betrugsmethoden, über die Unersättlichkeit des Weltfußballverbandes, über die Korruption im Internationalen Olympischen Komitee, über die maßlosen Geldschiebereien im Profi-Fußball, über Gewalt in Stadien, über Steuersparspielchen von Messi, Ronaldo und anderen werde ich bis dahin noch lesen? Oder nur überfliegen, es ist ja immer das gleiche? Oder angekotzt beiseitelegen?
Das Gefühl ist: Man hat sich etwas angeeignet, was einmal uns gehörte. Man hat es uns genommen. Was tun wir? Wo bleibt die Revolution? Warum lassen wir uns das gefallen? Dazu Folgendes: In Magdeburg fanden kürzlich Meisterschaften im Roboter-Fußball statt, im Juli wird die WM in Nagoya/Japan folgen, eine Mannschaft von der Uni Bremen ist Titelverteidiger. Fachleute sagen, im Jahr 2050, in 33 Jahren also, wird eine Fußball-Mannschaft aus Robotern den dann amtierenden Menschen-Weltmeister schlagen.
Ich habe mir das mal angesehen: Dieser Fußball wird von unfassbar langsamen, trippelnden, zögerlich schießenden, immerzu umfallenden und sich langsam wieder hochrappelnden Roboterchen gespielt, was soll das? Dazu sagen Fachleute: Vor 33 Jahren habe es kein Internet gegeben, damals sei gerade der erste Apple Macintosh Computer vorgestellt worden, in Redaktionen schrieb man seine Artikel an Schreibmaschinen auf Papier. 33 Jahre – das sei in der digitalen Welt ein unfassbar langer Zeitraum. 2050 würden Roboter die Weltrekorde in allen leichtathletischen Disziplinen halten, einzig Stabhochsprung sei wohl zu schwierig für sie. Und Fußball-Weltmeister? Aber selbstverständlich! Roboter seien leistungsfähiger, belastbarer, präziser, einfach komplett überlegen. Und sind nicht schon jetzt diese kleinen Maschinenkicker das reinste Wunder, unvorstellbar noch vor 33 Jahren? Damals war Tipp-Kick das höchste der Gefühle, kleine Eisenspieler mit einem Knopf auf dem Kopf zum Drücken beim Schuss.
2050! Wenn ich das noch erleben dürfte! Der gesamte Profi-Sport wird von Robotern übernommen, die FIFA kann irgendwo in der Wüste vor gähnenden Scheichs Maschinenfußball spielen lassen, das IOC einen Kugelstoß-Weltrekord über 872 Meter feiern – und wir? Treffen uns zum Stabhochsprung im Park.
So dachte ich. Dann habe ich weitere Videos vom Fußball-RoboCup gesehen. Mir fiel auf: Am Spielfeldrand saßen begeisterte junge Leute, Enthusiasten bastelten an ihren Spielermaschinen, der Chef der Bremer Mannschaft erzählte, es gehe hier um reine Forschung. »Wir gewinnen nichts außer Ruhm und Ehre«, keine Ahnung, woher das Geld für den Flug zur WM in Japan kommen werde, auch dort locke nur ein Pokal, Prämien gebe es nicht.
Da war er, der wahre alte Sportsgeist! Da ist er! (Sagen wir’s nicht weiter, damit Apple und Google es nicht merken und der Sache mit Geld zu Leibe rücken!) Und was das Champions-League-Finale, den Confed Cup, die WM, die Olympischen Spiele angeht: Den richtig großen, schönen, edlen, wahrhaftigen, amateurhaften und interessanten Sport treiben wir währenddessen am besten selbst.
Illustration: Dirk Schmidt