»Vor Kurzem habe ich das Fotoalbum auf meinem Mobiltelefon durchgeschaut und festgestellt, dass durchaus Bilder von mir dabei sind, auf denen ich gut getroffen bin. Nun stellt sich mir folgende Gewissensfrage: Darf ich ein Foto von mir als Handy-Hintergrund haben, oder ist das selbstverliebt?« Jenny F., Berlin
Ist das wirklich eine Frage der Moral? Daran kann man durchaus zweifeln, jedoch führt genau diese Überlegung weiter. Es geht nämlich in erster Linie nicht um Moral im engeren Sinne, sondern um das gelingende Leben. Das aber hat wiederum Bezüge zur Moral, und da wird es interessant.
Ich habe über Ihre Frage mit einer Psychologin gesprochen. Sie meinte, ja, es sei ein wenig selbstverliebt, aber Selbstliebe sei per se nichts Schlechtes, sondern auch ein Lebensquell. Ein gesundes Selbstwertgefühl beinhalte ein ausgewogenes Verhältnis zu seinen Fähigkeiten und Gaben, aber auch zu seinen Fehlern und Mängeln. Es gehe um ein gutes, weil passendes Gefühl zu sich selbst. Allerdings zeige Ihre Frage, dass Sie Zweifel haben, und insofern könnte das Verwenden des gut getroffenen Bildes als Handy-Hintergrund der Selbstvergewisserung dienen: Ich sehe doch ganz gut aus. Dass Sie dieses Bedürfnis haben, werfe die Frage auf, ob Sie einem Mangel am eigenen Selbst etwas entgegensetzen wollen, und dann wäre das Hintergrundbild nur eine Art Krücke. Aber das sei besser, als diese Selbstvergewisserung von anderen einzufordern, denn das wäre ein narzisstisches Verhalten im psychologischen Sinne, das den Umgang anstrengend macht.
Das alles bedeutet: Selbstliebe ist nichts Schlechtes, sondern in Maßen sogar wertvoll. Es wird aber schwierig, wenn man mit zu viel oder zu wenig davon zum einen selbst Probleme bekommt, zum anderen seine Umwelt mit hineinzieht.
Damit wäre man endgültig wieder bei der Moral. Nicht umsonst sollen zu Zeiten des dortigen Orakels zwei Sprüche über dem Eingang des Tempels von Delphi gestanden haben: γνῶθι σεαυτόν / gnôthi seautón – Erkenne dich selbst, und μηδὲν ἄγαν / medèn ágan – Nichts im Übermaß. Die beiden Sprüche zusammen ergeben hier die Antwort.
Literatur:
Michael Maaß, Das antike Delphi, Verlag C.H. Beck, 2007
Marion Giebel, Das Orakel von Delphi: Geschichte und Texte, Reclam Verlag, Stuttgart, 2001