Die Gewissensfrage

»In unserem Mietshaus sind alle Parteien verpflichtet, im wöchentlichen Turnus das Treppenhaus zu reinigen. Da aber alle Bewohner sehr ordentlich sind, fällt häufig von einer Woche zur anderen gar kein Schmutz an. Deswegen erledige ich meinen Reinigungsdienst oft nur sehr sporadisch oder überhaupt nicht. Schließlich besteht der Sinn dieser Regelung ja darin, das Haus sauber zu halten; es geht nicht um das Putzen um des Putzens willen. Muss ich ein schlechtes Gewissen haben?« SVENJA R., FREIBURG

Sie schreiben vom Putzen um des Putzens willen, da kommt man ins Grübeln. Säuberungsrituale finden sich in nahezu allen Religionen. Eine äußere Handlung soll eine innere Reinigung herbeiführen. Bekanntestes Beispiel dürfte das Bad der Hindus im Ganges sein, Islam und Judentum kennen rituelle Waschungen vor dem Gebet und auch das Eintauchen oder Übergießen des Täuflings im Christentum fällt in diese Kategorie. Womöglich hat ja auch Ihre Treppenhausreinigung einen tieferen Sinn als das schlichte Beseitigen von Straßenstaub. Keine Sorge, ich drifte jetzt nicht ins Esoterische ab, aber zumindest hinter dem festen Rhythmus sehe ich tatsächlich mehr. Starre Regelungen wie der vom Bedarf unabhängige Putzturnus haben zwar etwas Grässliches (»Kehrwoche«), dienen aber zugleich der Vermeidung von Streit. Ab welchem Grad von Verschmutzung eine Reinigung als notwendig empfunden wird, hängt – sehen Sie sich doch einmal in Ihrer Umgebung um – sehr von persönlichen Einstellungen ab; wann eine neue Woche beginnt, weniger. Daneben bewirkt das wöchentliche Feudeln auch etwas, was der Jurist »Bestätigung der Rechtstreue« nennen würde: Ihre Nachbarn sehen, dass Sie putzen, deshalb macht es ihnen nichts aus, es selbst zu tun. Erlebten sie Sie statt nasse Lumpen nur muntre Reden schwingend, wäre der Missmut vorprogrammiert.Damit Sie jetzt nicht dem Prinzip zuliebe saubere Stufen polieren müssen, möchte ich die »Platinene Regel« des menschlichen Zusammenlebens aufstellen: »Reden Sie miteinander!« Alle sonst wie glänzenden Regeln und Imperative bleiben in der Praxis oft matt, wenn sie einer für sich allein durchexerziert, der andere sein Verhalten aber nicht nachvollziehen kann. Deshalb mein Rat: Klären Sie es mit den Nachbarn oder halten Sie sich an den Turnus.