»In der Kleingartenanlage meines Vaters wird von den Vereinsmitgliedern erwartet, dass sie Gemeinschaftsarbeit machen, etwa die gemeinsam genutzten Anlagen pflegen. Eine Pächterin – alleinstehend und berufstätig – ist nun vom Vorstand gemahnt worden, weil sie ihren Teil der Gemeinschaftsarbeit vernachlässigt. Da meine Eltern mit ihr befreundet sind, hat mein Vater angeboten, einen Teil der von ihr geforderten Dienste zu übernehmen. Der Vorstand widersprach heftig, weil das der Vereinssatzung zuwiderlaufe. Das stimmt wohl – aber reicht es nicht, wenn die Arbeit erledigt wird?« Volker S., Berlin
Weniges hierzulande dürfte so sehr mit Klischees und Vorurteilen beladen sein wie Kleingärten. Man denkt an Gartenzwerge, Zäune, getrimmte Rasen, Beete und Bäume, Vorgaben und Vorschriften – und Nachbarn, die deren Einhaltung mit dem Zentimetermaß kontrollieren. Und Ihr Fall scheint das noch zu bestätigen. Tut er das?
Der Sozialphilosoph Detlef Horster trennt zwischen Gemeinschaftswerten und gesellschaftlicher Moral. Er greift damit eine Unterscheidung des Soziologen Ferdinand Tönnies auf. Tönnies zufolge gehört man einer Gemeinschaft um ihrer selbst willen an und bekennt sich zu ihr durch einen gemeinschaftlichen Willen. Beispiele wären eine Familie oder eine Kirche. Dagegen sei man Teil einer Gesellschaft als Individuum und verfolge weniger gemeinschaftliche Interessen als vielmehr seine eigenen. Typisch hierfür wäre etwa der moderne Staat. Horster meint, eine Gemeinschaft, die ein gemeinsames Ziel verfolgt, kann sich Werte geben, die für diejenigen gelten, die sich zu dieser Gemeinschaft bekennen – solange sie nicht den für alle verbindlichen moralischen Regeln der Gesellschaft widersprechen.
Kleingartenanlagen verstehen sich offenbar als Gemeinschaft. Zu ihren Idealen und Zielen gehören neben der Idee, Stadtbewohnern ein eigenes Grün zu ermöglichen, auch der Dialog und das Miteinander im Sinne von Gemeinschaftssinn und Geselligkeit. Wie das genau ausgestaltet wird, können die Vereine demokratisch bestimmen, aber eine Vorschrift, dass Gemeinschaftsarbeit nicht nur erledigt, sondern auch tatsächlich geleistet werden muss, lässt sich mit diesen Werten der Gemeinschaft schlüssig begründen.
Was folgt daraus? Obwohl ich das Prinzip und vor allem die soziale Idee der Schrebergärten sehr positiv sehe, bin ich kein Freund des Vereinslebens oder zwangsweisen Miteinander; dennoch muss ich das als Werte dieser Gemeinschaft respektieren. Mit einer Einschränkung: Wer in Großstädten einen eigenen Garten haben will und nicht viel Geld zur Verfügung hat, dem bleibt der Kleingarten oft als einzige Möglichkeit – auch wenn er sich nicht in ein Vereinsleben und damit in die Gemeinschaft einfügen möchte. Es kommt hier zu einer Kollision verschiedener Ideale, bei der nicht zuletzt die Tatsache, dass Kleingärten gesetzlich begünstigt sind, für eine tendenziell liberale Handhabung spricht.
Zu diesem Thema empfiehlt Rainer Erlinger folgende Texte:
Detlef Horster, Habermas und der Papst. Glauben und Vernunft, Gerechtigkeit und Nächstenliebe im säkularen Staat, transcript Verlag, Bielefeld 2006, S. 16 ff.
Ferdinand Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft. Fucs Verlag Leipzig 1987 Das Buch ist als Volltext abrufbar im Deutschen Textarchiv.
Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (Hrsg.), Städtebauliche, ökologische und soziale Bedeutung des Kleingartenwesens, Forschungen, Heft 133, Bonn 2008
Leitlinien zu Schreber- und Kleingärtengibt es auch im Bundeskleingartengesetz und im Leitbild des Bundesverbandes Deutscher Gartenfreunde e.V.
Illustration: Marc Herold