»Auf einer achtstündigen Fahrt im Fernbus saß hinter mir ein Herr, der mit offenem Mund Kaugummi kaute und so ein andauerndes Schmatzgeräusch von sich gab. Nach einer Stunde bat ich ihn, seinen Kaugummi mit geschlossenem Mund zu kauen, da ich das Geräusch als sehr unangenehm empfand. Er tat es mit finsterem Blick. War meine Bitte gerechtfertigt?« Natalie R., München
Kauen ist ein natürlicher körperlicher Akt und wie man kaut im Grunde jedermanns eigene Sache. Noch dazu rangieren Kaugeräusche gemessen an ihrer Lautstärke auf der Skala der störenden Geräusche nicht besonders weit oben. Man muss aushalten, dass es andere Menschen um einen herum gibt, dass sie lebendig sind und deshalb auch bemerkbar, dass sie ihre Eigenheiten haben, auch solche, die anders sind, als man sie sich vielleicht wünscht. Wer das nicht erträgt, muss als Einsiedler leben.
Das leitet über zum zweiten Aspekt: der räumlichen Nähe. Wer als Einsiedler lebt, weil er andere nicht erträgt, tut das nicht, weil es dann keine anderen Menschen gibt, sondern weil er weniger von ihnen mitbekommt. Die Auswirkungen auf andere Menschen nehmen mit zunehmender Entfernung ab. Umgekehrt bedeutet das aber, dass mit abnehmender Entfernung voneinander die gegenseitigen Einwirkungen zunehmen. Bei besonders großer Nähe können schon Kleinigkeiten schwer auszuhalten sein.
Die Frage, was man einerseits tun und was man sich andererseits verbitten darf, der Ausgleich zwischen der berechtigten Handlungsfreiheit und dem Anspruch, unbehelligt zu bleiben, hängt also – neben der Dauer der Einwirkung – von zwei Größen ab: der Intensität der störenden Handlung und dem Abstand.
Eine stundenlange Fahrt in einem Fernbus ist ein Extremfall von erzwungener Nähe, deshalb ist die Bandbreite der zulässigen individuellen Entfaltung dort eher gering anzusetzen. Mit anderen Worten: Man muss sich zurücknehmen, auch Dinge unterlassen, die man sonst tun dürfte, und sein Handeln so gestalten, dass andere möglichst wenig beeinträchtigt werden. Kaugeräusche lassen sich durch Schließen des Mundes einfach und deutlich verringern, man darf das deshalb auch einfordern.
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Zur Rücksicht als eine der Grundpfeiler einer zeitgemäßen Moral siehe das Kapitel „Von Bahnfahrern, Spaziergängern und Vorausschau: Über Rücksicht“ in Rainer Erlinger, Moral. Wie man richtig gut lebt, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2011, Taschenbuchausgabe 2012, S. 290 – 299
Illustration: Serge Bloch