Es sind jetzt wieder diese flirrenden Hochsommertage. Wenn man denkt, die Zeit steht still, weil die Tage so lang sind und die Nächte so heiß, dass man nicht schlafen gehen will. Die Zeit, die nach Heuwiesen und Seewasser riecht, in der man im Freibad auf der Wiese liegt und von diesem Geräuschbrei aus Platschen, Schreien und Tischtennis-Geploppe umfangen wird, der einen sofort wegdämmern lässt. Abende, an denen man mit einem Tross aus Fahrrädern, Handtuchbergen und Grillzeug von einem Ausflug zurückkommt und auf erschöpfte Art entspannt ist, als hätte man etwas Großes geleistet. Die Momente, wenn einem das vom Baden nasse und frierende Kind entgegenläuft und man es in ein Handtuch wickelt. An diesen Hochsommertagen empfindet man ein eintöniges Glück, man kann sich in einem Fluss aus Nichtsmüssen und Langeweile verlieren, der einem unendlich scheint.
Es gibt ein Getränk für diese Tage, und das ist Radler. Ein bisschen Bier, aber nicht zu viel, es erfrischt und macht zugleich angenehm träge. Es passt zu jeder Aktivität, falls es denn eine gibt, und schmeckt immer, es ist das, was man im Urlaub bereits beim Mittagessen trinkt, weil es eh keinen juckt, ob man von der Hitze benebelt ist oder vom Alkohol. Radler ist das Getränk zu diesem Ist-doch-egal-Gefühl eines heißen Sommertages. Man sitzt irgendwo herum und lässt sich von seinen Bedürfnissen treiben, so wie die Grille aus der berühmten Geschichte von Jean de La Fontaine. Die Grille zirpt den ganzen Sommer vor sich hin und kümmert sich um nichts, während sich die Ameise abrackert, um für den Winter zu sammeln. Das soll Kindern beibringen, Kunst sei brotlos. Gott sei Dank gibt es die »Gegengrille« von Leo Lionni: die kleine Feldmaus Frederick, die Sonnenstrahlen sammelt, Farben und Wörter des Sommers, und die mit der bunten, warmen Schilderung des Sommers dann die ganze Mäusefamilie über den öden Winter rettet.
Habe ich gesagt, Radler sei ein Sommergetränk? Das stimmt, aber gerade das macht Radler zum Novembergetränk. Im Spätherbst schlägt seine wahre Stunde. Wenn es grau und kalt und trist ist, wenn es morgens nicht hell wird und dafür schon nachmittags dunkel. An diesen Novembertagen hole ich Bier und Limonade aus dem Kühlschrank und mische mir ein Radler. Um die helle Farbe vor mir zu haben, das Sprudeln und das kalte Glas. Und dann bin ich wieder dort, wo ich das letzte Radler des Sommers getrunken habe, am Ufer eines Sees, auf der Hütte nach einer Bergwanderung, spätabends noch auf dem Balkon. Es ist bekannt, dass Gerüche über die Nase direkt in jene Regionen des Gehirns vordringen, die für Gefühle und die Erinnerung zuständig sind. Das führt dazu, dass man sich intensiv in eine Situation zurückversetzen kann, sobald man etwas Bestimmtes riecht. Bei mir hat Radler diesen Effekt. Ich trinke Radler im Sommer, und daher ist für mich Sommer, sobald ich Radler trinke.
Es sind jetzt wieder diese flirrenden Hochsommertage. Das Einzige, was ich mir für diese Zeit vornehme, ist, mir diese Momente einzuprägen. Das Gefühl von Licht, Hitze und Nichtstun zu speichern, um es genau dann wieder abzurufen, wenn ich im Februar um sieben Uhr früh das Haus verlassen muss. Und dann werde ich die kleine Feldmaus sein, weil ich etwas Sinnvolles gesammelt habe: den Sommer.