Das kleine Bier ist nichts für große Macker

Obwohl es oft auf der Getränkekarte steht, fristet das kleine Bier ein Schattendasein. Liegt es am männlichen Größenwahn?

Maßlos übertrieben: der Maßkrug.

Foto: Erli Grünzweil

Ich bewundere den Mut anderer Leute. Es gibt mutige Männer, die sich trauen, ihrer wütenden Gattin »Beruhig dich mal!« ins Gesicht zu sagen. Es gibt mutige Frauen, die sich jahrelang aus- und weiterbilden lassen und irgendwann das Schildchen »Therapeutin« an die Tür hängen, nur um jenen verzweifelten Männern zuzuhören, die es wirklich, ja WIRKLICH nicht verstehen, weshalb sie denn IMMER NOCH sauer ist, ich gebe ihr doch schon ALLES, selbst ein BAD habe ich ihr eingelassen und eine Duftkerze gekauft, Sandelholz und Vanille, was will sie denn NOCH?

Wenn ich meinen Mut beweisen will, bestelle ich im Wirtshaus ein kleines Bier. Das kleine Bier steht zwar auf jeder Karte, ist aber ein Feigenblatt. Genau wie das Thai-Curry »mit Gemüse der Saison«, das niemand bestellt und nur existiert, damit die Vegetarier nicht auf die Barrikaden gehen. Erblickt man Mobiliar aus massiver Eiche und Kellner in Karohemden, lautet die unausgesprochene Regel: Wer kommt, nimmt ein großes Bier, wer geht, einen Schnitt, also einen Absacker. Das kleine Bier, das von der Größe her irgendwo dazwischen dümpelt, erzeugt nur Spott. Ich weiß nicht, wer damit angefangen hat. Vielleicht eine Gruppe Franziskaner aus dem Mittelalter, die Bruder Bernhard, den komischen Vogel, dafür auslachten, dass er sich nicht die Haubitze volltankte wie sie, sondern immer nur an einem Krüglein nippte und »seine Stimme für den Morgenchoral« schonen wollte oder »später noch die Familienbäume der Merowinger zu Ende pinseln muss«.

Vor ein paar Jahren bestellte mal ein Tourist zu seiner Schweinshaxe ein kleines Bier. Der Kellner stellte dem armen Unwissenden darauf ein Bier hin, das so klein war wie eine Espressotasse. In Berlin war das. So weit ist es schon gekommen. Keinen juckt es da, wenn eine Horde bärtiger Wikinger in Ganzkörperkondomen die U-Bahn besetzt, aber wehe, jemand bestellt ein kleines Bier! Bin ich in einer illustren Runde, quittiert der vor allem männliche Teil im besten Fall die Bestellung mit einer hochgezogenen Augenbraue, im schlechtesten Fall spricht man es an: Haste noch was vor? Musste früh raus? Besonders ulkige Gestalten fragen auch mal, wann denn das Baby komme.

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Was kann denn das kleine Bier dafür? Säße ich mit Julia Roberts im Wirtshaus, wäre sie nie so gehässig, sondern würde etwas Süßes sagen wie: Ich bin nur ein Bierchen, das vor einem Jungen steht und ihn bittet, es zu lieben. Aber was weiß Julia Roberts schon. Echte Männer bestellen eben ein großes Bier und nennen das große Bier einfach »ein Bier«. Echte Männer zahlen die 49,80-Euro-Zeche mit 50 Euro und sagen: Stimmt so! Echte Männer verabschieden sich, indem sie sich auf die Schenkel klopfen und SO! sagen. Danach heizen echte Männer im Affenzahn durch die Gegend, um die von Google Maps berechnete Ankunftszeit um eine Minute zu unterbieten. Wobei echte Männer auch nie nach dem Weg fragen würden, weder Mensch noch Maschine, sondern so lange in der Gegend rumirren, bis sie zufällig den gewünschten Ort finden. Sie nennen das »Abkürzung«. Kriegt er vom vielen Fahren Rückenprobleme, geht ein echter Mann nicht zum Arzt, sondern heult alle voll. Wenn sie erkältet sind, bleiben echte Männer nicht zu Hause, sondern ­gehen ins Büro, stecken alle an und ­beschweren sich dann, wie diese »Grippewelle« den ganzen Laden lahmlegt und »die Wirtschaft drunter leidet«. Ein paar Tage später sind die Einzigen, die noch mehr leiden als die Wirtschaft, sie selbst. Echten Män­nern platzt bei pauschalen »Echte Männer sind so und so«-Sätzen der ­Kragen, weshalb sie gepfefferte Leserbriefe schreiben, dass sich Julia Roberts NIEMALS zu einem Weichei von Kolumnist wie mir setzen würde! Darauf gibt es für echte Männer nur eine richtige Antwort: Beruhig dich mal.