Schmeckt nach Hilfsbereitschaft

Nach der Flutkatastrophe an der Ahr konnte man bei betroffenen Winzern »Flutwein« kaufen, also verschmierte und sandige Flaschen aus vollgelaufenen Weinkellern. Aber ist der wahre Flutwein nicht doch ein anderer?

Foto: Maurizio Di Iorio

Glück hatten die Winzer und Winzerinnen, die bei der Flut an der Ahr keine Familienmitglieder, keine Freunde ver­loren haben. Genug Unglück blieb dann trotzdem noch übrig. Wer sie anruft in Bad Neuenahr, Altenahr oder Dernau, wer Interviews mit ihnen liest, die sie damals, wenige Wochen nach der Flut, noch halb im Schock gegeben haben, wer die Blog-Einträge im Internet verfolgt, die viele Weingutinhaber nach der Flut begonnen haben, um zu berichten, was bei ihnen los ist, der weiß: Zunächst mal war bei den meisten fast alles, was noch in Fässern lag, verloren gegangen. Einige bereits abgefüllte Flaschen, etwa der 2019er-Jahrgang, wurden auf vielen Weingütern aus dem Schlamm gerettet. Verschmutzt und dreckig, aber eben nicht kaputt. Es könne sich Sand am Korken oder im Schraubverschluss befinden, aber das mache nichts, heißt es über diese Flaschen, die häufig als »Flutwein« bezeichnet werden. Mehr als 175 000 dieser Flaschen wurden etwa im Internet für den Wiederaufbau der Region verkauft. Dort heißt es: »Der Inhalt edel, die Verpackung – zum Gedenken an die Katastrophe – limitiert & originalverschlammt.«

Das nächste Problem der Winzerinnen und Winzer war all die zerstörte Ausrüstung. Julia Bertram-Baltes, Weinbauerin in fünfter Generation und ehemalige Weinkönigin, hatte nur gut zwei Monate Zeit, um zwischen Flutunglück und anstehender Lese das kaputte Gerät zu ersetzen, alles neu zu organisieren aus Frankreich, der Schweiz und Deutschland. Auch die Arbeitsstätten selbst waren oft beschädigt oder zerstört. Auf Bertram-Baltes’ Weingut etwa war ein ganzer Gebäudeteil weggerissen worden. Der Ahr-Winzer Peter Kriechel berichtet von verlorenen Gärtanks, Pumpen und Pressen. Alles musste wiederbeschafft oder wenigstens ausgeliehen werden.

Und trotz der Angebote aus den Anbaugebieten Pfalz und Mosel, die geernteten Trauben dorthin zu schaffen und mit deren Gerät zu bearbeiten, hatten viele an der Ahr den Ehrgeiz, die Trauben vor Ort, zu Hause, jetzt erst recht bei sich zu keltern.

Meistgelesen diese Woche:

Was so entstanden ist, das ist – wie ich finde – der eigentliche Flutwein, der Jahrgang 2021. Ein Wein gegen jede Logik gewissermaßen. Oder wie die Winzerinnen und Winzer natürlich sagen: ein super Jahrgang. Warum? Weil nach viel Regen und überfluteten Anbauflächen einfach weniger Trauben blieben. Mehr als zehn Prozent der Rebfläche im Tal waren zerstört oder stark beschädigt. Was übrig geblieben war, wurde akribisch, kleinteilig, händisch sortiert, und statt viel ist eben weniger mit sehr viel Sorgfalt entstanden. Entstanden überhaupt, weil von den vielen Helfern und Helferinnen, die zuerst aus Nordrhein-Westfalen, Hessen, Rheinland-Pfalz und später aus ganz Deutschland an die Ahr kamen, um anzupacken, auch welche auf die Hänge geschickt wurden. Etwa vom Helfer-Shuttle, einem kleinen Verein, entstanden aus zwei einheimischen Unternehmern, einer Idee, einem Klappstuhl und einem Klapptisch auf einer freien Gewerbefläche in Gelsdorf. Wer damals dabei war, wie dort nach und nach die unterschiedlichsten Menschen mit Privatautos voller Privathelfern auf die Freifläche im Industriegebiet steuerten, der spricht heute einfach vom Camp Gelsdorf. Von dort wurden Helfer auf die Weingüter geschickt. Beinahe jeder Weingut-Blog endet mit dem großen Dank an die Helfer, die zwar nicht die Geübtesten waren, aber die Engagiertesten. Was zum Glück noch fehlt: viel Flutwein trinken.