Bei Rot bleibst du stehen

Unser Leser ärgert sich darüber, dass Leute trotz roter Ampel über die Straße gehen, wenn er mit seiner siebenjährigen Tochter unterwegs ist. Er will die Rotgänger auf ihr Fehlverhalten ansprechen. Ist das in Ordnung – oder spießig?

Illustration: Serge Bloch

»Meine Frau, unsere Tochter und ich wohnen in einer ruhigen Straße. Mit Martha, unserer Tochter, habe ich jetzt angefangen, kleine Fahrradtouren zu machen, wofür wir auch über diese Straße müssen. Nun ist es immer wieder vorgekommen, dass junge Leute bei Rot über die Ampel liefen. Meine Tochter ist erst sieben Jahre alt, und ich habe Angst, dass sie sich das abguckt. Ich würde die Rotgänger gerne drauf ansprechen. ­Meine Frau meint aber, mich gehe das nichts an, wir waren ja alle mal jung. Bin ich spießig geworden?« Mahrkus J., Kiel

Ich habe eine mir nahestehende Achtjährige gefragt, was sie davon hält, wenn Erwachsene bei Rot über die Straße gehen, und sie sagt, sie finde das ­total blöd. Allerdings sagt sie auch, dass sie ein solches Fehlverhalten nicht dazu anstiftet, ihrerseits bei Rot über die Straße zu ­gehen. Das tue man nämlich nicht. Sie kann sich höchstens vorstellen, selbst eine Ausnahme zu machen, falls ein Familienmitglied von ihr einen Unfall gehabt hätte und im Krankenhaus wäre. Wenn sie es also wirklich, wirklich sehr eilig hätte. Ein Notfall. Dann und nur dann würde sie auf das Gesetz, das sie ansonsten im Straßenverkehr sehr ernst nimmt, pfeifen und eventuell auch mal bei Rot über die Straße gehen.

Ich zitiere das hier deshalb so ausführlich, weil es zeigt, dass Kinder im Alter Ihrer Tochter schon sehr gut einschätzen können, was sie für richtig halten und was nicht. Entscheidend ist, was ihre Eltern ihnen beigebracht haben. Und da die Welt keine Versuchsanordnung ist, in der stets ideale ­Bedingungen herrschen, sondern Kinder es immer wieder mit Erwachsenen zu tun ­haben werden, die sich nicht ständig richtig verhalten oder zumindest nicht so, wie man es von Kindern verlangt, könnten Sie es auch als glückliche Fügung begreifen, wenn Sie zusammen mit Ihrer Tochter Leute bei Rot über die Straße gehen sehen. Das gibt Ihnen nämlich die Gelegenheit, Ihrer Tochter an einem ganz konkreten Beispiel zu erklären, dass man bei dem, was man für gut und richtig erachtet, sein eigener Maßstab sein muss. Am allerwichtigsten ist sowieso, vor dem Überqueren einer Straße selbstständig nach links und nach rechts zu ­gucken, ob auch wirklich nichts kommt. Auch bei Grün. Es gibt ja genug Fahrrad- oder E-Scooterfahrer, die sich nicht an den ­Ampelfarben orientieren. Ob Sie die Rotgänger ansprechen sollten, können Sie ja je nach Tageslaune entscheiden. Es ist ­bestimmt kein Muss.