Das Ende der Höflichkeit

Eine Leserin möchte den Kontakt zu einer entfernten Bekannten abbrechen, weil sie diesen als einseitig empfindet. Doch nun hat sie ein Geschenk von dieser Frau erhalten. Was tun?

Illustration: Serge Bloch

»Über viele Jahre hinweg hat eine mir nicht nahe Bekannte immer wieder meinen juristischen Rat unentgeltlich eingefordert. Vor einem Jahr ist es mir gelungen, deutlich zu machen, dass ich diesen einseitigen Kontakt nicht mehr möchte. Es folgten Mails gleichgültigen Inhalts (Hinweise auf Bücher), die ich nicht beantwortet habe. Nun schickte sie zum Geburtstag ein Geschenk. Als höflicher Mensch müsste ich mich bedanken. Aber ich will mir den Kontakt nicht wieder aufzwingen lassen.« Bettina L., per Mail

Sie fühlen sich bedrängt. Was Sie aber viel mehr bedrängt als Ihre Bekannte, sind Sie selbst. Sie beschreiben sich selbst als höflich, wollen auf keinen Fall unfreundlich sein. Und es scheint Ihnen schwerzufallen, Ihre Grenzen zu ziehen. Wie Sie es darstellen – und so hat es sich bestimmt auch für Sie angefühlt –, haben Sie dieser Person über Jahre hinweg gegen Ihren Willen wiederholt juristischen Rat erteilt, und das auch noch umsonst, dabei handelt es sich bei ihr nicht einmal um eine Freundin. Die Frage ist also nicht: Wie konnte diese unverschämte Person das einfordern? Die Frage ist: Wieso haben Sie einem Menschen, den Sie nicht einmal besonders schätzen, nicht gezeigt, dass Sie etwas nicht möchten? Was hat Sie daran gehindert, dieser Frau beispielsweise zu sagen, in dieser oder jener Angelegenheit müsste sie Sie mal beruflich konsultieren? Diese Frau wird sich schätzungsweise gefreut haben, dass Sie so großzügig sind. Am Ende mag sie Sie wirklich gern und dachte, das beruht auf Gegenseitigkeit.

Andere Menschen kann man sowieso nicht ändern, konzentrieren Sie sich also lieber auf sich selbst. Finden Sie heraus, warum Sie lieber über Ihre Bedürfnisse hinweggehen, als eine vermeintliche Erwartung an Sie zu enttäuschen. Warum ist es für Sie so elementar wichtig, nicht »unhöflich« zu sein? Wenn Sie dieser Sache nicht auf den Grund gehen, werden Sie noch oft an Menschen geraten, von denen Sie sich in Bedrängnis gebracht fühlen. Sie sollten lernen zu zeigen, wo Ihre Grenzen sind. Die sind nicht zu erraten: Wenn mir jemand über Jahre hinweg gratis juristischen Rat erteilt, muss ich doch irgendwann annehmen, das macht diese Person gern. Üben Sie, Nein zu sagen und die Folgen auszuhalten. Die werden übrigens gar nicht schlimm sein. Versprochen.