Wo hört die Privatsphäre auf?

Ein Bekannter ist offenbar ernsthaft erkrankt, unser Leser möchte sich kümmern. Die Ehefrau gibt aber keine Auskunft zum Zustand des Kranken und verbittet sich sogar Genesungswünsche. Wie kann man in so einer Situation mit den Sorgen um einen Menschen umgehen?

Illustration: Serge Bloch

»Wir sind seit vielen Jahren mit einem Paar sehr gut bekannt, die vormals Nachbarn waren. Wir erhielten von ihr die erschreckende Nachricht, dass er plötzlich erkrankt und in einer Klinik ist. Mehr wolle sie uns dazu nicht sagen, wir sollten auch nicht fragen. Wir sind aus dem medizinischen Fach. Wir sind im Dilemma, nichts zu wissen, sondern nur zu ahnen. Wir wollen uns kümmern, wissen allerdings nicht, wie. Ein Krankenbesuch ist unerwünscht. Zwei Whatsapps mit besten Genesungswünschen an ihn waren ihr zu viel. Wir sollten ihn in Ruhe lassen. Wir sind konsterniert. Von ihm hören/lesen wir gar nichts. Nun war demnächst ein gemeinsames Abendessen geplant. Wie sollen wir miteinander reden können, wenn dieses Ereignis vo­raussichtlich nicht thematisiert werden darf?«
Axel S., München

Ich bin nicht sicher, ob sich Ihre Frage auf das geplante und nun möglicherweise hinfällige Abendessen bezieht oder genereller gemeint ist, aber für die ­Antwort spielt das keine Rolle. Ohne bitte ­unhöflich sein zu wollen, möchte ich doch sagen, dass mich Ihre Haltung erstaunt. In erster Linie geht es hier doch wohl darum, dass ein guter Bekannter von Ihnen mutmaßlich ernster erkrankt ist. Das Ganze ist plötzlich passiert, er ist im Krankenhaus, seine Frau bittet um Privatsphäre. Es klingt aber, als ob es Ihnen nur um Sie selbst geht. Er ist in einer Klinik? Aber das ist doch kein Grund, sich nicht bei uns zu melden. Wie bitte, seine Frau möchte uns dazu keine weitere Auskunft erteilen? Also, das ist ja wirklich unmöglich, was erlaubt sie sich eigentlich? So in etwa scheinen Sie das zu sehen. Falls es anders ist und Sie sich jetzt falsch verstanden fühlen, tut es mir leid, aber dann haben Sie sich ­unklar ausgedrückt.

Wenn man Sie aber in dem, was Sie schreiben, ernst nehmen soll, kann man Ihnen wirklich nur raten, intensiv in sich zu gehen und sich zu fragen, was Sie eigentlich für ein Problem haben. Was an der Bitte Ihrer ­Bekannten ist nicht zu verstehen? Sie würden sich gerne kümmern, schreiben Sie, wüssten allerdings nicht, wie. Ich buchstabiere Ihnen das gerne aus: Respektieren Sie den Wunsch Ihrer Bekannten. Lassen Sie ihr die Privatsphäre, die sie und ihr Mann sich offenbar im Moment wünschen. Man kann anderen mit Hilfsbereitschaft auch zur Last fallen oder anders: Hilfsbereitschaft, zumal ausdrücklich unerwünschte, kann auch sehr egoistisch sein. Und im Zweifel können Sie im Moment sowieso nichts tun.

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