»Ein sehr guter Freund von mir wurde bereits vor Jahren von seiner Frau verlassen. Er kümmert sich sehr fürsorglich um die beiden gemeinsamen Kinder. Die Ex-Frau ist glücklich in einer neuen Beziehung. Mein Freund hat die Trennung nie verwunden. Als ich vor Kurzem die Kinder meines Freundes wieder einmal traf, fiel mir auf, dass ihm ein Kind sehr ähnelt, das zweite Kind aber eher nach dem neuen Freund der Ex-Frau kommt. Die beiden Kinder sind sein einziges Glück, soll ich meinen Verdacht trotzdem äußern?« Anonym
Verstehe, die Sache bewegt Sie. Geht ja auch um große Themen. Elternschaft. Gene. Verrat. Lassen Sie uns einen kühlen Kopf bewahren und einfach mal durchgehen, was passieren würde, wenn Sie Ihren Verdacht äußern. Ihr Freund würde Ihnen ganz bestimmt nicht dankbar um den Hals fallen, dass er nun endlich einen Hinweis darauf bekommt, dass eines seiner beiden Kinder möglicherweise nicht von ihm ist. Das wäre selbst dann nicht anders, hätte er selbst je einen Zweifel in diese Richtung gehegt. Denn hätte er dies und irgendein Interesse daran, Sie in diese Geschichte einzubeziehen, wüssten Sie das. Außerdem hätte sich ja auch dann für ihn nicht die Notwendigkeit ergeben, eine Konsequenz zu ziehen.
Sie können es drehen und wenden, wie Sie wollen: Er ist der Vater dieses Kindes. Sollte Ihr Begriff von Elternschaft rein biologisch definiert sein, müssen Sie trotzdem in Betracht ziehen, sich zu irren. Wie man seit den mendelschen Vererbungsregeln weiß, gehen Gene bisweilen verrückte Wege. Gut möglich, dass das Kind irgendeinem Vorfahren Ihres Freundes wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Und dann gibt es noch eine Ebene, über die Sie nachdenken sollten: Ihr Verdacht impliziert, dass Sie Ihren Freund leider für etwas blöd halten. Oder zumindest für wahnsinnig naiv. Nicht nur gehen Sie ja offenbar davon aus, dass er das Offensichtliche nicht sieht – Sie unterstellen ihm auch, bis heute nicht begriffen zu haben, dass ihn seine Ex-Frau, wie sagte man früher, gehörnt hat.
Besonders wohlmeinend Ihrem Freund gegenüber ist Ihr Verdacht also nicht. Nur eine einzige Person hätte einen Nutzen davon, wenn Sie ihn äußern: Sie. Sie hätten sich ein Geheimnis von der Seele geredet, von dem niemand in Abrede stellen will, dass es Sie wirklich drückt. Aber denken Sie die Sache vom Ende her – und vergessen Sie’s einfach.