Falsche Zeit, falscher Ort?

Im Supermarkt befindet man sich gefühlt immer an der falschen Kasse – und wenn eine neue aufmacht, ist sie ratzfatz belegt von Menschen, die vorher nicht angestanden haben. Ist das rücksichtsloses Vordrängeln oder einfach Pech für die Wartenden?

Illustration: Serge Bloch

»Folgende alltägliche Situation: ein Supermarkt, fünf, sechs Kassen, aber nur zwei sind besetzt, und an denen entwickeln sich längere Warteschlangen. Plötzlich aus dem Off der Ruf: ›Packen Sie auf Kasse drei aus!‹ Obwohl vor den zwei bisherigen Kassen viele Menschen mit ihren Einkaufswagen schon einige Zeit mit mehr oder weniger Geduld verbracht haben, ist die Kasse drei in Windeseile von Leuten in Beschlag genommen, die sich gerade erst den Kassen genähert haben. Die ­Frage, die mich schon seit Jahren umtreibt: Ist das rücksichtsloses Vordrängeln oder einfach die Tatsache für die Schlangenwarter, zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort gewesen zu sein?« Arne S., Wedemark

Jeder weiß, was für einen Hass es in einem mobilisieren kann, wenn man sich beim Warten unfair überholt fühlt. Das ist natürlich, wie wir wissen, nur das Ego, aber das werde man mal los, nach Feierabend im vollen Supermarkt in dieser Situation. Das Problem im von Ihnen geschilderten Fall ist, dass es allein den Wartenden überlassen ist, da nun möglichst schnell eine Ordnung hineinzubringen, mit der sich alle gerecht behandelt fühlen. Das ist praktisch unmöglich. Aber bedenken wir, dass nicht jeder, der da ohne Rücksicht nach vorne stürmt, unseren Hass auch verdient. Was wissen wir schon vom Unglück der anderen Supermarktkunden? Vielleicht gab es einen Unglücksfall in der Familie, vielleicht hat diese Person großen Stress, vielleicht erwartet sie Gäste, und gerade fragte einer, ob er seine neue Bekannte mitbringen darf, die Sterneköchin ist. Genauso gut kann einen das Glück treffen, bei der Öffnung der Kasse zufällig die nächststehende Person zu sein, am besten mit ganz wenigen Einkäufen, sodass niemand sauer sein kann. Ich würde darauf tippen, dass der Schnitt für alle Menschen in etwa der gleiche ist. Mal gehört man zu den Verlierern, mal nicht.

Kluge Institutionen – oder welche mit mehr Geld oder weniger Andrang – setzen ihre Wartenden nicht dem Prinzip des darwinistischen Verdrängungswettbewerbs aus, sondern installieren eine höhere Instanz. Die US-Supermarktkette Whole Foods etwa ordnet den Schlangen Farben zu, die der Reihenfolge nach dran sind, angezeigt durch Lämpchen, und wer vorne ist, wird zu einer bestimmten Kasse geschickt. Vordrängeln geht hier nicht. Auch nicht beim Feinkostladen Lindner in Berlin-Mitte, wo ­jeder beim Eintreten eine Nummer zieht. Aber ein ganz kleines bisschen geht dabei auch das grundsätzlich doch ganz schöne Gefühl verloren, für einen erwachsenen Menschen gehalten zu werden, der sein ­Leben schon irgendwie hinkriegt.