»Ich freue mich eher still«

Was sind die wichtigsten Werke von Thomas Mann? Was kann man von Johnny Depp lernen? Ein Gespräch mit Florian Henckel von Donnersmarck.

SZ-Magazin: Herr Henckel von Donnersmarck, Sie haben jetzt drei Jahre in den USA gelebt und gearbeitet. Wie sprechen die Amerikaner eigentlich Ihren Namen aus?
Florian Henckel von Donnersmarck: Gar nicht. Die sagen nur »Florian«. Denen ist mein Nachname zu kompliziert, aber glücklicherweise läuft ja in Amerika alles auf First-Name-Basis. Sogar auf meinem Parkplatz vor dem Filmstudio stand nur »Florian«.

Sie könnten es ja machen wie andere Adlige – die kürzen ihren Namen, um ihre Herkunft gar nicht erst zum Thema zu machen. Der FDP-Politiker Hermann Solms zum Beispiel heißt eigentlich Hermann Otto Prinz zu Solms-Hohensolms-Lich. Wäre das was für Sie?
Mein Name ist doch auch schon verkürzt. Ich heiße Graf Henckel von Donnersmarck, den Grafen lasse ich weg, der Rest ist nun mal mein Name. Aber im Alltag mache ich es mir natürlich auch leichter – wenn ich irgendwo eine Bestellung vornehme oder ein Ticket buche, dann schreibe ich nur Donnersmarck.

Noch ein Adliger, der seinen Titel meistens weglässt: Ihr Cousin Karl-Theodor zu Guttenberg. Was haben Sie ihm geschrieben, als er Minister wurde?
Ich habe ihm nicht extra geschrieben, wir sprechen uns oft genug. Ich hatte auch nie Zweifel, dass er es in die höchsten Ämter schafft, für mich war es nur eine Frage der Zeit. Als er Minister wurde, haben mir mehrere Leute aus der Verwandtschaft geschrieben und gesagt: Du hattest recht.

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Er ist inzwischen einer der beliebtesten Politiker Deutschlands, manche sagen, das verdanke er auch seinem Adel.
Wenn dem so wäre, gäbe es wohl noch mehr adlige Politiker. Aber ich könnte mir vorstellen, dass KT mit den gleichen Prinzipien von Ehre und Anstand erzogen wurde, die auch mir eingeimpft wurden. Deshalb habe ich schon mal ein gewisses Grundvertrauen, dass dieser Mann seine Arbeit für unser Land gut macht.

Gibt es tatsächlich einen adeligen Ehrenkodex?
Sehen Sie sich den Widerstand gegen Hitler an – in dieser Gruppe gab es natürlich auch viele sogenannte Bürgerliche, aber eben doch überproportional viele Adlige. Und das hat nichts damit zu tun, dass Adlige per se anständig wären, sondern dass sie einfach wissen, wie sie geprägt wurden, welche Werte und Maßstäbe in ihren Familien seit Generationen gelten. Es gibt bestimmte Dinge, die niemand aus meiner Familie je tun oder unterstützen würde.

Was würde ein Henckel von Donnersmarck nie tun?
Ich erzähle Ihnen dazu eine Geschichte, die unserer Familie in letzter Zeit einigen Kummer bereitet hat. Ich hatte einen entfernten Onkel, der kinderlos war. Dessen Neffe wiederum hatte einen Sohn, ungefähr in meinem Alter, aber den kannten wir gar nicht. Als mein Onkel sehr alt war und dieser junge Mann so Mitte 20 war, beschloss mein Onkel, ihn zu adoptieren. Mein Vater sagte damals: Es gibt keine Knappheit an Henckel von Donnersmarcks, es gibt keinen Grund, diesen Jungen zu adoptieren. Und wenn der das nur will, um sich gesellschaftlich aufzuwerten, kann das nicht der Sinn der Sache sein. Er wird ja damit auch nicht tatsächlich ein Adliger.

Den Titel hätte er immerhin.
Das genügt natürlich nicht. Weil zum Adel im besten Fall auch eine gewisse Prägung gehört, ein Gefühl von Pflicht gegenüber der Gesellschaft und dem Land. Wir wussten nun nicht, wie der Junge aufgewachsen ist. Gelten für ihn die Prinzipien von Ehrenhaftigkeit und Anstand, für die unsere Familie kontinuierlich seit Generationen steht?

Und? War es so?
Es ist etwas wirklich wahnsinnig Unangenehmes geschehen: Die Donnersmarcks sind ja die Erben von Goethe. Das kam durch Goethes Schwiegertochter, deren Mutter eine Henckel von Donnersmarck war. Seit der Nachlass an die Familie fiel, war allen klar: Ein Goethe-Erbe, das gehört einem nicht. Es wurde gleich an das Goethe- und Schiller-Archiv und das Goethe-Nationalmuseum übergeben. Nun erbte dieser adoptierte Junge auch einen Teil des Goethe-Nachlasses, der seit dem 19. Jahrhundert als Dauerleihgabe in öffentlicher Hand ist. Er ging zur Goethe-Stiftung und sagte, er wolle die Erbstücke kurz ausleihen, um sie fotografieren zu lassen. Man gab ihm 39 Goethe-Zeichnungen, diese wunderschönen Zeichnungen, die wir alle seit Schulbuchzeiten kennen. Und was tat er? Er verkaufte sie klammheimlich ins Ausland. Unfassbar!

Und das hätte ein echter Henckel von Donnersmarck nie getan?
Ich lege meine Hand dafür ins Feuer! Und seit dem 19. Jahrhundert hat es ja auch niemand getan. Ich selber hätte lieber bis an mein Lebensende Latein-Nachhilfeunterricht gegeben, selbst wenn ich in der größten Finanznot wäre. Es ist doch unsere Pflicht, dieses Erbe zu bewahren und der Allgemeinheit zugänglich zu machen.

Sie haben schon in Ihrer Jugend in den USA und Belgien gelebt, später in Russland und England studiert, Sie haben die doppelte Staatsbürgerschaft als Deutscher und Österreicher. Der klassische Kosmopolit. Welches Land, welchen Ort empfinden Sie als Heimat?

Deutschland. Aber wie deutsch ich bin, das habe ich erst jetzt in Los Angeles gemerkt.

Woran?

Vielleicht am ehesten an diesem ausgeprägten Gefühl für Hochkultur. Unter Deutschen gibt es diese Grundannahme, es gäbe sozusagen eine wertvolle Hochkultur und eine weniger wertvolle Populärkultur.

Die USA sind das klassische Einwanderungsland. Während Sie dort gelebt und gearbeitet haben, hat hier in Deutschland Thilo Sarrazin für wüste Debatten gesorgt, indem er die Angst vor Überfremdung anfachte.
Ja, das habe ich verfolgt.

Was halten Sie von seinen Thesen?

Ich kann Ihnen sagen, dass ich mich bei jedem Projekt, das ich angehe, frage: Bringt das jetzt mehr Frieden und Gutes in die Welt oder mehr Unfrieden? Und ich fürchte, Sarrazin hat sich diese Frage nicht gestellt.

In solchen Kategorien scheint der Mann eher nicht zu denken.

Nehmen wir nur mal an, rein hypothetisch, Sarrazin hätte mit seinen Thesen recht – was müsste man denn daraus für eine Schlussfolgerung ziehen? Vorurteile schaffen doch so oft genau die Umstände, die dann wieder als Bestätigung für die Vorurteile genommen werden. Ein Teufelskreis – den man irgendwann durchbrechen muss.

Wie könnte das gehen?

Das, was immer als Political Correctness verhöhnt wird, hilft dem Integrationsprozess aller Minderheiten in Wahrheit sehr. Ein Beiuspiel: Es war in Amerika schon in meiner Kindheit in den Siebzigern extrem verpönt, etwas gegen Schwarze zu sagen. Es konnte einen die Karriere kosten, wenn man es tat. Für manche mochte das wirken wie eine Form von geistiger Zensur, aber es gab der nächsten Generation die Chance, ohne so ein Übermaß an rassistischen Sprüchen aufzuwachsen. Also konnte eine Generation nachwachsen, die tatsächlich ohne Vorurteile weitermacht, die sogar einen schwarzen Präsidenten wählt. Vielleicht können wir uns daran orientieren.

Unterhaltung im besten Sinne

Das Schönste an Venedig? Sind manchmal die Gäste, die sich gerade in der Stadt aufhalten: Angelina Jolie lässt sich von Donnersmarck die nächste Szene erklären.

Reden wir über Ihren neuen Film. Sie sind berühmt geworden mit dem politischen Film Das Leben der Anderen. Jetzt haben Sie The Tourist gedreht, einen Thriller mit Starbesetzung und Verfolgungsjagden. Damit stoßen Sie alle vor den Kopf, die auf Sie als wichtige politische Stimme in Deutschland gesetzt hatten.
Es wohnen in meiner Brust viele Seelen, mich interessiert nicht nur das politische Kino. Ich glaube, dass Kunst nicht immer inhaltsschwer sein muss, um Bedeutung zu haben. Das Schöne ist ja, dass man in der Kunst eine Welt zeigen kann, wie man sie gern sehen würde. Vielleicht kann The Tourist Menschen helfen, die Welt im schönstmöglichen Licht zu sehen.

Eskapismus, in Ordnung. Also eine klare Entscheidung gegen die Arbeit als politischer Künstler.
Nun, wenn man sich wie bei diesen Dreharbeiten so viel mit äußerer Schönheit und Glanz beschäftigt, kommt man schon mal nach Hause und fragt sich: Was mache ich hier eigentlich? Aber ich weiß auch: Die großen, glanzvollen Weltfluchtfilme wie Über den Dächern von Nizza haben mir vielleicht mehr gebracht als die politischen Filme von Costa-Gavras. Oder wenn ich zum Beispiel Spielbergs Werk ansehe – ich weiß nicht, ob mir Der Weiße Hai weniger wichtig ist als Schindlers Liste. Oder bei den Schriftstellern, die ich bewundere, Thomas Mann etwa: Vielleicht denkt man zuerst an die Buddenbrooks und den Zauberberg, ja. Möchte ich deshalb Königliche Hoheit und Felix Krull missen? Nein, auf keinen Fall. Ich brauche beides!

Das heißt aber, Sie haben jetzt erst mal abgeschlossen mit dem politischen Film?

Nein, die Chance ist ja nicht verstrichen. Wenn The Tourist international gut läuft, habe ich doch danach sogar bessere Möglichkeiten, mich zu den Themen zu äußern, die mir im Herzen brennen.

Welche sind das?

Mein nächster Film … nun ja, ich darf das jetzt noch nicht verraten, die Verträge mit dem Studio werden gerade ausgehandelt, aber schon mal so viel: Es geht um Selbstmord. Ich habe anderthalb Jahre recherchiert, ein gewaltiges Thema. Jedes Jahr bringen sich mehr als eine Million Menschen um, mehr als 20 Millionen Menschen versuchen es. Sich damit zu befassen, das war noch trostloser, als sich mit der Stasi zu beschäftigen. Das kann einen zermürben. Vielleicht geht das nur, wenn man dann im Wechsel wieder so etwas wie The Tourist macht. Unterhaltung im besten Sinne.

Gibt es Momente, in denen Sie hinter verschlossener Tür einfach mal die Faust in die Luft recken und sich mit einem lauten »Yessssss« freuen?
Ich freue mich eher still. Wir haben oft nachts gedreht, da bin ich im Morgengrauen zurückgefahren in den Palazzo am Canal Grande, wo wir untergebracht waren, mein Fahrer und ich sind noch so eine halbe Stunde durch die Kanäle gekreuzt, haben uns Venedig im Morgengrauen angeschaut und ein paar Zigaretten geraucht. Und da dachte ich, ganz im Ernst: Vielleicht hat es noch nie in der Geschichte der Menschheit irgendjemand besser gehabt als ich.

Was haben Sie von Johnny Depp gelernt?

Was mich an ihm fasziniert, ist sein unglaublich präzises ästhetisches Urteil, in allen Bereichen.

Worin äußert sich das?

Er spielt zum Beispiel sehr, sehr gut Gitarre, er hat auch früher davon geträumt, Rockmusiker zu werden, dieser Traum ist immer noch irgendwo in ihm. Ich sagte, dann gründe doch eine Band, wenn du jetzt ein Konzert gibst, wäre das sofort ausverkauft. Darauf sagte er: Nein, es wäre schäbig, den Ruhm aus einem Bereich zu verwenden, um dann in einem anderen Bereich zu punkten, so was tut man nicht. Großer Mann.

Trauen Sie Ihrem eigenen ästhetischen Urteil immer?

Als Regisseur bleibt einem gar nichts anderes übrig. Man kann nicht jeden Tag ein Team von zig Leuten dirigieren, wenn man an seinen Entscheidungen zweifelt.

Fällt es Ihnen schwer, im Rückblick Fehler einzugestehen?

Nein, da habe ich überhaupt keinen Stolz. Das muss dann eben sein. Und es führt auch zu peinlichen Situationen. Zum Beispiel die Sache mit dem Abspann: Ich dachte bei The Tourist, wir brauchen eine ganz besondere Titelsequenz am Ende. Also habe ich die vier größten Titeldesigner ins Studio bestellt, ich hatte die Idee, dass man mit stilisierten Comicfiguren von Angelina und Johnny den ganzen Film noch einmal im Schnelldurchlauf zeigt. Dann habe ich mit diesen Designern vier Wochen daran gearbeitet, es war herrlich. Schließlich habe ich mir die ganze Mischung noch einmal angeschaut: Der Film ging zu Ende, und dann begann diese fabelhafte Titelsequenz – und es war, als würde plötzlich ein ganz neuer Film beginnen. Ich dachte: Um Gottes willen! Wir waren schon am Rande des Budgets, der Abspann war absurd teuer, ich hatte mit dem Produzenten um jeden Cent gefeilscht. Aber da musste ich sagen: Leute, es tut mir leid, das funktioniert nicht, ich will jetzt doch einfache weiße Titel auf Schwarz. Das war wirklich wahnsinnig peinlich.

Florian Henckel von Donnersmarck, 37, erhielt vor drei Jahren für seinen Debütfilm
Das Leben der Anderen den Oscar und gilt seitdem als die größte Hoffnung des deutschen Kinos. Der Regisseur, der aus einer alten schlesischen Adelsfamilie stammt, lebt mit seiner Frau und seinen drei Kindern in Los Angeles. Sein neuer Film The Tourist, ein Thriller mit Angelina Jolie und Johnny Depp, der in Venedig spielt, kommt am 16. Dezember ins Kino. Hier gehts zum Trailer.

Fotos: Peter Mountain/Kino Welt; Serge Cohen/Focus