Marcus Gaab begleitete das Berliner Theatertreffen mit seinem Videoprojekt One on One on One. Nach fünf Jahren, 50 eingeladenen Inszenierungen und knapp 50 Filmen haben wir zum Abschluss seines Projekts mit dem Berliner Fotografen gesprochen.
SZ-Magazin: Was bedeutet der Titel Ihres Projekts One on One on One?
Marcus Gaab: One on One on One bedeutet eine Kamera, ein Schauspieler, eine Minute. Gut, die Minute haben wir oft gedehnt. Es sollte wohl eher heißen: eine Kamera, ein Schauspieler, eine Szene. Das hat viel Spaß gemacht, denn Theater ist mehr Pop, als man denkt.
Was soll das heißen, Theater ist Pop?
Theater findet oft in einer sehr akademischen, bildungsbürgerlichen Nische statt, wenn man jetzt mal von der Berliner Volksbühne und ähnlichen Bühnen wie den Münchner Kammerspielen absieht. Viele Stücke sind intellektuell anspruchsvoll und sehr selbstbezüglich. Aber das reine Erlebnis kann auch extrem lustig, unterhaltsam und bunt sein – Pop eben. In einer guten Kunstausstellung muss man ja auch nicht zwingend jeden Inhalt genau durchleuchten und verstehen, um berührt zu werden. Die Kontexte zu kennen, kann Kunst spannender machen. Trotzdem kann man inspiriert werden, ohne dass es gleich anstrengend wird.
Kann man dieses reine Theater-Erlebnis überhaupt konservieren oder bedeutet Theater nicht auch immer die Möglichkeit, angespuckt zu werden?
Das war meine Experimentanordnung. Ich diskutiere das auch ständig mit Schauspielfreunden. Lässt sich Theater direkt im Video transportieren? Oder ist das dann gleich Performance oder Videokunst? Wird das dann Film, verliert es seine Energie? Fernsehübertragungen von Theaterstücken können in der Totalen ja ziemlich mühsam sein. Ich gehe weg von der Inszenierung und fokussiere auf die Performance der Schauspieler. Ich weiß zwar nicht, wie, aber ich finde, das Experiment ist geglückt.
Haben Sie ein Beispiel?
Ein schönes Beispiel für diesen Versuchsaufbau ist das One on One on One mit Valery Tscheplanowa. Valery hatte in dieser Nacht zwei Mal acht Stunden in Frank Castorfs Faust an der Volksbühne gespielt. Sie wollte ihren Erschöpfungszustand nutzen, um eine Passage aus Schillers Die Räuber zu performen. Nachts um zwei hat sie sich den Text ohne Vorlage aus dem Gedächtnis geholt und am Räuberrad vor der Volksbühne zum Besten gegeben – ein Take, fertig. Apropos Castorf: Der Schauspieler Daniel Zillmann kam in mein Studio und hat seine ganzen Castorf-Skriptbücher auf den Tisch geknallt, sich spontan Szenen rausgesucht und in Volksbühne-Kostümen vor Greenscreen performt. Das war random, anarchisch, wahllos. Im Faust wie im Video spielt er auch mal Castorf und seine zornigen Regieanweisungen selbst.
Welcher Dreh hat Sie besonders berührt?
Vor dem Dreh mit Carolin Conrad hatte ich größten Respekt. Für ihre emotional düstere Rolle in Beute Frauen Krieg fand Carolin eine Entsprechung in ihrem persönlichen Leben. Ihr Bruder, schwer krank und auf dem Weg zum Tod, hatte extra für ihr One on One on One einen Text verfasst - mit den Augen geschrieben, weil er gelähmt war! Seine Worte haben wir in Kontrast zu seinem real existierenden Familienleben gesetzt. Dieses persönliche Engagement, in dem sich die Grenzen zwischen lebensechten und gespielten Gefühlen komplett auflösen, hat mich schwer beeindruckt. Ihr Bruder ist im März dieses Jahres gestorben. Sein Text bleibt in der Welt.
Haben Sie den Schauspielern vorgegeben, was Sie tun sollen?
Nein. Dimitrij Schaad zum Beispiel monologisiert vor dem sowjetischen Mahnmal in Berlin, während andere weniger klassisch an die Sache herangegangen sind.
Wie sehen die Theaterregisseure Ihr Projekt?
Ich kenne eigentlich nur Ersan Mondtag persönlich, und der findet das interessant. Die One on One on Ones seiner Stücke kamen auch gut an – wie das von Kate Strong. Wenn eines wirklich Pop ist, dann das.
Es ist schon parasitär, was ich mache, mich auf das fertig inszenierte Stück zu setzen. Und Regisseure sind natürlich auch nicht uneitel. Probleme gab es trotzdem nie. Ich glaube, die Theaterwelt ist so stark mit sich selbst beschäftigt, die kriegen das gar nicht mit.
Mit Sebastian Schneider aus Mondtags Stück Vernichtung sind wir in seinem Kostüm durch die Berliner Nacht gezogen. Ihn haben wir um zwei Uhr noch im Auto zur Volksbühne mitgenommen, wo Valery Tscheplanowa gerade herauskam und sich Schiller ins Gedächtnis rief.
Welches Theaterstück können Sie empfehlen?
Ich empfehle Hotel Strindberg von Simon Stone. Das Stück ist toll, sehr erzählerisch, sehr zugänglich. Da kann man folgen, ohne einen der Texte gelesen haben zu müssen. Mit Michael Wächter habe ich ein One on One on One gemacht – im Hotel selbstverständlich. Tartuffe oder das Schwein der Weisen von PeterLicht nach Molière ist mit Abstand das lustigste Stück, das ich bisher gesehen habe. Daneben empfehle ich Unendlicher Spaß von Thorsten Lensing. Die Schauspielleistung hat mich wahnsinnig beeindruckt. Das ist wirklich speziell - ich gebe zu, diese Art Schauspiel gibt es nur im Theater. Da ist eine leere Bühne, die die Schauspieler bis in die letzte Ecke ausfüllen. Du kommst raus und sprichst darüber. Das ist eine schöne Unmittelbarkeit.