Name: Claudio Sieber
Geboren: 1981 in der Schweiz
Wohnort: Philippinen
Ausbildung: Marketingfachmann / Visueller Journalismus (Autodidakt)
Website: claudiosieberphotography.com
Projekt: Tabu is Life!
SZ-Magazin: Ihre Reportage zeigt, wie der Volksstamm der Tolai in Papua-Neuguinea das traditionelle Muschelgeld verwendet. Kann ich dort also in einen Laden gehen und mit Muscheln bezahlen?
Claudio Sieber: Für alltägliche Einkäufe wird auch in Ost-Neubritannien – das ist die Provinz, in der die Tolai leben – in der Regel eher die nationale Währung Kina verwendet. Aber gerade in den Dörfern kann man Reis oder Süßigkeiten, kleinere Sachen eben, durchaus auch mit Muschelgeld bezahlen. Es handelt sich dabei um eine Komplementärwährung, die neben dem Kina existiert. Bei religiösen Zeremonien spielt das Muschelgeld dagegen in der ganzen Provinz eine zentrale Rolle. Zum Beispiel bei Hochzeiten als Brautpreis, um die Frau aus der Familie zu »kaufen«, oder bei Beerdigungen als Vermögensteilung des Verstorbenen innerhalb der Gemeinschaft und Ehrerweisung für die Tubuan, die Ahnengeister.
Wie gestaltet sich die Ernte des Muschelgeldes? Im ersten Moment klingt das Konzept ja, als könnte sozusagen jeder einfach Geld aus dem Meer fischen.
Klar, könnte man. Wenn man ausdauernd ist. Denn eine Muschel schlussendlich zu finden, kann schon viel Zeit kosten. Und eine einzige Muschel bringt ihnen ja noch nicht viel ein. Sie sehen Bilder in meiner Serie, wo Kinder diese im Schlick sammeln, dort oder auch vor dem Riff findet man immer noch Nassarius-Schneckenhäuser; das ist die Gattung, aus der Muschelgeld hergestellt wird. Aber das ist harte Arbeit: Sammeln, waschen, dann die Spitzen wegnehmen und die Muscheln auffädeln, das kostet alles viel Zeit.
Wie sind Sie auf das Thema aufmerksam geworden?
Ich war in einer anderen Region von Papua-Neuguinea und habe dort jemanden kennengelernt, der gerade aus Ost-Neubritannien zurückkam. Der hat mir erklärt, dass Muschelgeld dort wirklich noch eingesetzt wird. Ich habe bis dahin immer gedacht, das sei eine rein kulturelle Geschichte, also würde nur noch im Zusammenhang mit religiösen Zeremonien eine Rolle spielen. Aber dass die Menschen dort tatsächlich noch im Alltag mit Muschelgeld bezahlen, das hat mich dann schon gereizt, das Ganze mal anzupacken. Ich habe dann online recherchiert und gemerkt, dass noch niemand das Thema visuell sauber umgesetzt hat.
Wie lang ging Ihre Recherche vor Ort insgesamt?
Knapp einen Monat. Ich hatte das Glück, über einen Bekannten in Papua-Neuguinea sehr schnell an einen Clan vermittelt zu werden, der mich dann aufgenommen hat. Ich wurde sogar kulturell getauft, ich bin also sozusagen ein Clan-Mitglied der Tolai. Ich musste mich dort auch mit Muschelgeld einkaufen.
Wie haben die Einheimischen am Anfang auf Sie und ihre Kamera reagiert?
Ich komme natürlich nicht gleich mit der Kamera an. Das war sicher eine Woche, um einfach mit den Leuten zu leben und zu spüren, wie das da so läuft. Als ich dann mit dem Clan-Chef diskutiert habe, dass ich das Thema größer visuell umsetzen will, bin ich auf sehr positive Reaktionen gestoßen. Denn vor allem die Älteren wollen das auch als Kulturerbe erhalten und an die Jugend weitergeben, um zu verhindern, dass das irgendwann verloren geht.
Lässt sich sagen, wie viele Menschen dort heute noch diese Muschelwährung benutzen, beziehungsweise welche Summen im Umlauf sind?
Ja, grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass alle Einwohner von Ost-Neubritannien in irgendeiner Form Muschelgeld einsetzen, das sind etwa 330.000. Und die Zirkulation, also das Muschelgeld, das jetzt im Umlauf ist, wird auf zwei Millionen Euro geschätzt.
Also gibt es einen exakten Wechselkurs von Muschelgeld in Kina oder eben in Euro?
Ja, das gibt es auf jeden Fall.
In welchen Einheiten wird dieses Muschelgeld gemessen? Auf ihren Bildern sind Ketten und Räder zu sehen.
Die kleinste Währung ist ein Param. Das ist eine Muschelkette entsprechend der Armlänge einer Person. Darauf haben dann ungefähr 220 bis 240 Muscheln Platz. Ein Param entspricht fünf Kina, also etwas mehr als einem Euro. Dann gibt es ein Arip, das sind zehn Param kombiniert, sodass man einen Wert von 50 Kina oder 13 Euro hat. Und dann gibt es noch diese Räder (Agogo), im Prinzip eine Art der Lagerung. Das sind viele dieser Ketten aufgespannt auf ein Rad mit Werten um die 500 Kina oder mehr.
Kann ich einfach in eine Wechselstube gehen, wenn ich an Muschelgeld kommen will?
Wechselstuben sind eine Möglichkeit, ich kann Muschelgeld aber auch für harte Währung, also Kina, am Markt kaufen. Das ist vor allem dann relevant, wenn ich Muschelgeld für religiöse Zeremonien brauche. Dabei mache ich einen Verlust von 10 bis 15 Prozent, denn die Händler wollen daran natürlich auch etwas verdienen.
Sie schreiben, dass es inzwischen sogar zu Engpässen kommt und Muschelgeld importiert werden muss.
Über die Jahrhunderte, die die Tolai jetzt dort leben, haben sie natürlich viele Muscheln geerntet, und deshalb findet man heute kaum mehr Muscheln vor den Küsten. Das ist der Grund, warum das Rohmaterial heute größtenteils von den Salomonen importiert wird. Da gibt es auch Händler, die Muscheln in großen Mengen importieren und dann den nächsten Schritt machen, also Löcher in die Muscheln stanzen, diese auffädeln und an die Märkte verkaufen.
Neben der finanziellen hat das Muschelgeld aber vor allem auch eine soziale und kulturelle Bedeutung, richtig?
Das war eigentlich der wichtigste Punkt für mich. Gerade in den technologisch fortgeschrittenen Teilen Asiens zahlt man mit dem Handy, via PayPal, das sind ein paar Klicks und ich bin als Käufer sehr anonym. Wir entfernen uns vom sozialen Austausch von Geld zu Ware. Das ist bei den Tolai genau das Gegenteil. Das Muschelgeld zieht sich durch das ganze Leben. Von der kulturellen Taufe als Kind über die Hochzeit bis hin schließlich zur Beerdigung spielt das Muschelgeld eine wichtige Rolle. Das erinnert einen immer an die Identität, die Zugehörigkeit zu dieser Ethnie, zu diesem Kulturerbe.
Gibt es eine besondere Situation im Zusammenhang mit Muschelgeld, die Ihnen in Erinnerung geblieben ist?
Zum Beispiel, als ich als kleinen Feldversuch Muschelgeld mit dem Top-Up einer SIM-Karte eingetauscht habe. Ganz ohne dass der Verkäufer mit dem Kopf geschüttelt oder die Augenbrauen hochgezogen hätte! Das war für mich schon ein Highlight, weil das so ein extremer Gegensatz ist – das Mobiltelefon und das Muschelgeld.