Die Grammys kann man jetzt offiziell umbenennen in »Karneval der großen Tiere«: Harry Styles im brustfreien Harlekinkostüm, Pharrell Williams und seine Frau in roter beziehungsweiser schwarzer Steppleder-Kombo, Jay-Z in weißem Leder mit Heroes-del-Silencio-Gedächtnis-Schnürung an den Seiten, Shania Twain im schwarzen Fliegenpilz-Dress. Wirklich gut sah darin keiner von ihnen aus, cool der ein oder andere womöglich schon, in jedem Fall bleiben sie im Gedächtnis.
Das ist die viel härtere Währung von heute und für den Zuschauer absolut zu begrüßen. Denn für die geschmackssicheren Roben gibt es ja noch die Oscars, wo die ästhetische Handbremse manchmal so dermaßen angezogen bleibt, dass es beim Zugucken fast weh tut. Kleider zum Träumen heißt dort oft »zum Wegdösen«. Allerdings war die Gästeliste besagter Veranstaltung bislang auch viel homogener (sehr weiß, sehr angepasst). Dagegen sind ein paar gut gelaunte, interessante Popstars, die bei Musikpreisverleihungen ordentlich freidrehen, die deutlich bessere Unterhaltung. Man darf mal schlecht performen (siehe Harry Styles), unmotiviert gucken (siehe Ben Affleck), aber das oberste Grammy-Gebot lautet: Du sollst nicht langweilen.
Also zeigte sich Cardi B im futuristischen Metall-Kokon – eine Hommage an den wenige Tage zuvor verstorbenen Design-Visionär Paco Rabanne. Machine Gun Kelly trug einen Silberfolien-Anzug von Dolce & Gabbana, der ihm sofort den Spitznamen »Zinnmann« einbrachte. Harry Styles trug für seinen Auftritt Gucci-T-Shirt und -Hose mit flirrenden Pailletten daran, was beim Tanzen ein bisschen so aussah, als würde ein Disco-Rumpelstilzchen Funken sprühen. Beyoncé erschien – als es der Verkehr von Los Angeles endlich zuließ – in einem Korsagenkleid mit silbernem Rüschenrock. Lizzo, Marry J. Blige, Jill Biden: Heilig’s Blechle, da war wirklich viel Metall unterwegs. Warum bloß?
Metallic glänzt schön, es ist glamourös, außerdem korrespondiert der Stoff perfekt mit den Trophäen. Gold würde natürlich noch besser passen, wäre aber auch ungleich prätentiöser, und niemand will deppert in Gold dastehen, wenn er am Ende leer ausgeht. Deshalb lieber Silber.
Metaphorisch gesehen ist es genau das, was wir in diesen Zeiten brauchen – ein Silberstreifen am Horizont. Aber im eigenen Kleiderschrank? Eher nein. Die Modemagazine propagieren auf ihren Webseiten zwar gerade genau das Gegenteil und haben geschwind alle silbernen Looks aus den aktuellen Kollektionen von Gucci bis Arket aus dem Netz zusammen geklaubt. Das tun sie allerdings vor allem aus Ermangelung anderer Trends an diesem Abend (mindestens drei ähnlich angezogene Menschen). In Wahrheit gilt für silberne Mode das gleiche wie für Alufolie zu Hause: Lieber gar nicht oder, wenn es unbedingt sein muss, nur sparsam verwenden.
Denn auf der großen Bühne sehen silberne Sachen futuristisch aus, in der eigenen kleinen Welt dagegen eher plastikmäßig und billig, wie Schrott dieser Zeit. Der glänzende Effekt ist nach einem Mal verpufft, dann muss man den Fummel entweder verkaufen oder bis zum nächsten Einsatz zehn Jahre warten.
Ein ganz anderer großer Trend bei den diesjährigen Grammys war übrigens Lippenlesen. So soll Jennifer Lopez ihrem dahin-memenden Mann Ben Affleck zugezischt haben: »Schau freundlicher. Schau motiviert!« Hochmotivierte Antwort: »I might« (»Könnte ich«). Wahrscheinlich werden Stars bei Gala-Veranstaltungen bald die gleiche Geste wie auf dem Fußballplatz mache und alles nur noch hinter vorgehaltener Hand besprechen.
Das sagt der Idealist: »Alles glänzt!«
Das sagt der Nihilist: »Alles Schrott!«
Passender Song: »Silver and Gold« (Dolly Parton)