Dürfen wir vorstellen: Storck Riese (links) und Werthers Echte (rechts), zwei echt harte Brocken, an denen sich schon so mancher die Zähne ausgebissen hat, in wichtiger Mission unterwegs in Paris.
Wahrscheinlich nicht ganz die Assoziation, die Kourtney und Kim Kardashian im Sinn hatten, als sie am vergangenen Wochenende im brandaktuellen Balmain-Partnerlook aufkreuzten. Latex-Leggings, -Rollkragentop, -Blazer und -Handschuhe waren erst zwei Tage zuvor auf dem Laufsteg gezeigt worden. Als enge Freunde von Balmain-Designer Olivier Rousteing genießen die Kardashians sozusagen ein Vortrage-Recht, von dem sie sofort Gebrauch machten. Nur die farbliche Kombination von Schokobraun und Karamell war vielleicht nicht ganz so glücklich. Der Ausdruck »Eye Candy« war noch nie treffender.
Weil auch bei Saint Laurent haufenweise Latex auf dem Laufsteg zu sehen war (gefühlte 65 von 66 Looks), ist die Annahme berechtigt, dass das Material nächsten Herbst tatsächlich Trend wird, was kurz nach einem wegweisenden Weinstein-Urteil natürlich sofort die Frage aufwirft: Ist Latex, feministisch gesehen, eigentlich ok? Entspricht das ewige Sexshop-Zeug nicht dem Male-Gaze pur? Wie genau sollen das emanzipierte Frauen tragen? Da ist doch, ganz offensichtlich, überhaupt kein Platz für üppige Selbstverwirklichung!
Puh, tja, womöglich liegt’s an der abgeschnürten Sauerstoffzufuhr hier beim »Method-Wearing« von Latex beim Schreiben über Latex, aber die ständige Diskussion über zu hohe Highheels, zu kurze Röcke, zu tiefe Ausschnitte, Leder, Corsagen oder eben Latex erscheint wahnsinnig ermüdend. Vielleicht muss nicht jedes Kleidungsstück erst mal unter die feministische Lupe genommen werden. Es kommt ja immer noch darauf an, wer und was drin steckt. (Zumal bei Saint Laurent viele der Latexbuxen mit lilafarbenen Blazern kombiniert wurden, L-I-L-A – wenn sich da mal zwei Botschaften gegenseitig neutralisieren.)
Wenden wir uns also lieber der alten Frage zu: Sieht das gut aus? Sollte man Latex ernsthaft tragen? Der Stoff hat ja seine Qualitäten, weshalb Kim Kardashian West seit Jahren immer wieder dazu greift. Eher körperbetont, also sexy, seit Matrix irgendwie auch superheldenmäßig-cool-kämpferisch, außerdem abwaschbar und im besten Fall: biologisch abbaubar.
Denn Latex wird bekanntlich aus dem Milchsaft des Kautschukbaumes gewonnen, der durch Räuchern und Walzen zu Kautschuk weiterverarbeitet und anschließend vulkanisiert wird. Was so irre künstlich aussieht, kann bei vorbildlicher Herstellung total umweltfreundlich sein. Wer will noch ernsthaft über Feminismusfragen streiten, wenn man mit diesem Gummianzug die untergehende Welt retten kann!
Tatsächlich sah vieles bei Saint Laurent in der Kombination fetisch/spießig auch gar nicht übel aus. Ein lilafarbener Latexrock mit fuchsiafarbener Schluppenbluse, ein schwarzes Latexoberteil zu kariertem Goldknopfrock – für Helmut Newton wäre das zu lahm gewesen, aber die französische Vogue wird den Look nächste Saison rauf und runter fotografieren.
Auch das Model bei Balmain, das den Entwurf vor Kim auf dem Laufsteg trug, sah keineswegs ordinär aus, sondern eher wie ein futuristisches Wesen, das gar keine echte Kleidung trägt, sondern nur einen glänzenden Anstrich, der ihm digital in der Post Production verpasst wurde. Nur dieser Karamellton weckt – bis auf die Twix-Füllung vielleicht – leider nur schwierige Assoziationen. Fleischwurstpelle, babygesichtsfüllende Öko-Schnuller aus Kautschuk, diese unappetitlich von der Decke hängenden Klebestreifen zum Fliegenfangen.
Was die Designer natürlich vorher nicht ahnen konnten: In Zeiten von Corona erscheint der Latex-Look irgendwie seltsam zeitgemäß. Antiseptisch wie ein OP-Handschuh, abwaschbar, maximal aerodynamisch, um möglichst wenig mit seinen Mitmenschen in Kontakt zu kommen. Und mehr Aufmerksamkeit als mit jeder Atemmaske erreichten die Kardashians damit in Paris sowieso. Mission erfüllt.
Typischer Instagram-Kommentar: Ist das atmungsaktiv?
Das sagt die Verkäuferin: »Haben Sie zu Hause jemanden, der Ihnen beim Anlegen helfen kann?«
Passender Song: »Tight« (INXS)